VERMERK WURDE UMGESCHRIEBEN - KLEINE ÄNDERUNG, GROßE WIRKUNG? WAS IN DEN AKW-AKTEN ANGEPASST WURDE

In den Akten der Atomkraftwerke ist dokumentiert, wie sich ein Vermerk innerhalb von nur zwei Tagen verändert hat. Die überarbeitete Version zielt offensichtlich darauf ab, die Position der Gegner einer Laufzeitverlängerung zu stärken Gelungen ist das mit kleinen sprachlichen Kniffen.

Für besonderes Aufsehen im Zuge der „Cicero“-Recherche zu den AKW-Akten hat ein Abteilungsleiter gesorgt, der einen Vermerk umgeschrieben haben soll. Der Vorwurf: Er soll dazu beigetragen haben, die Position von Wirtschaftsminister Robert Habeck und Umweltministerin Steffi Lemke (beide Grüne) gegen den Weiterbetrieb von Atomkraftwerken zu legitimieren.

Konkret geht es um eine erste Version, die zwei Referenten und ein Referatsleiter des Umweltministeriums am 1. März 2022 gezeichnet haben. Diese wurde überarbeitet, laut „Cicero“ von Abteilungsleiter Gerrit Niehaus, der zu einem grünen Netzwerk von Atomkraft-Gegnern zählt. Der neue Vermerk stammt von „Abteilung S“, Datum: 3. März.

„Cicero“ schreibt, der Vermerk sei „komplett“ umgeschrieben worden. Die erste Version hätte mit der zweiten nicht mehr viel zu tun. Dass das übertrieben ist, zeigt sich, wenn man die beiden Dokumente gegenüberstellt. Viele Absätze wurden wortgleich übernommen, manche verändert oder gestrichen. Zudem ist ein zusätzliches Fazit mit klarer Positionierung zu finden.

Nicht in das Gegenteil verkehrt, aber gezielt angepasst

„Cicero“ berichtet außerdem, die Kernbotschaft des ersten Vermerks sei „in ihr Gegenteil“ verkehrt worden. Zur Version vom 1. März heißt es in der Recherche: „Die Verfasser beschreiben einen Weiterbetrieb der damals noch laufenden Atomkraftwerke ‚über mehrere Jahre‘ als ‚mit der Aufrechterhaltung der nuklearen Sicherheit vereinbar‘“.

Das Zitat aus dem ersten Vermerk, das „Cicero“ anführt, muss allerdings im Sinnzusammenhang betrachtet werden. Im Text lautet der komplette Satz: „Nachfolgend werden hinsichtlich des Betriebs von Kernkraftwerken in Deutschland, über das Jahresende 2022 hinaus, aus technischer Sicht drei Szenarien diskutiert, die mit der Aufrechterhaltung der nuklearen Sicherheit vereinbar wären.“

Die Verfasser präsentieren die Möglichkeit einer Laufzeitverlängerung also weniger als Fakt, wie „Cicero“ es wertet, sondern weisen auf mögliche Szenarien hin – die eintreten können, oder auch nicht.

Dennoch ist die Stelle interessant, weil sie im zweiten Vermerk leicht verändert wurde: „Es werden hinsichtlich des Betriebs von Atomkraftwerken in Deutschland, über das Jahresende 2022 hinaus, aus technischer Sicht zwei Szenarien im Hinblick auf die nukleare Sicherheit bewertet.“ Das „vereinbar“ als Wort wurde geschickt entfernt.

„Atomkraft“ oder „Kernkraft“?

Dieses und weitere Beispiele zeigen, wie in den Ministerien mit Vermerken Politik gemacht wird. Unüblich ist das nicht. Die AKW-Akten geben einen spannenden Einblick, wie mit sprachlichen Kniffen die Botschaften der Papiere angepasst werden können.

Das auffälligste Beispiel ist bei den beiden Vermerken, dass in der ersten Version durchgängig von „Kernkraftwerken“ die Rede ist, in der zweiten von „Atomkraftwerken“. Beide Begriffe meinen dasselbe, und doch kann ihre Verwendung etwas über den Autor aussagen.

Gegner dieser Form der Energieerzeugung sprechen häufiger von „Atom-“, Befürworter eher von „Kernkraft“. Möglicherweise soll das „Atom-“ negative Bezüge zur Atombombe betonen.

Der ehemalige hessische Ministerpräsident Roland Koch (CDU) – ein Anhänger dieser Form der Energiegewinnung – pochte darauf, dass in Interviews mit ihm von „Kernkraftwerken“ die Rede ist. Sein Sprecher erläuterte das 2008 ausführlich in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“.

An mehreren Stellen kleine sprachliche Veränderungen

In einem anderen Fall ist eindeutiger, was die Veränderung im Vermerk bezwecken sollte: In der ersten Version heißt es noch, dass das Kernkraftwerk Isar 2 bereits „einen relativ langen Betriebszyklus“ durchlaufe.

Später wurde daraus folgender Satz: „Für das Atomkraftwerk KKI-2 ist keine Revision mit Stillstand mehr geplant, so dass die Anlage bereits einen sehr langen Zeitraum ohne die wiederkehrenden Prüfungen durchläuft.“ Aus „relativ“ wurde „sehr“, beim Lesen kann man das schnell mal übersehen – das Argument der Weiterbetriebsgegner wurde aber gestärkt.

Kleine sprachliche Veränderungen finden sich an weiteren Stellen. „Kurzfristig kann es zu Stillständen der Kernkraftwerke aufgrund mangelnder Versorgung mit Brennelementen kommen“, heißt es in der ersten Version.

„Kann“ war dem Autor des zweiten Vermerks wohl zu schwach – oder die fachliche Einschätzung hatte sich innerhalb von zwei Tagen verändert, was aber unwahrscheinlich sein dürfte. Jedenfalls schrieb er: „Zunächst dürfte es dabei zu Stillständen […] kommen.“ Und andernorts wurden aus „Herausforderungen“, die bei einer Laufzeitverlängerung „gegebenenfalls“ auftreten könnten, ganz schlicht „Probleme“.

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