HOCHWASSER IN EUROPA: PLüNDERUNGEN, GEBROCHENE DäMME, WEITERE TOTE – SO IST DIE FLUTLAGE

Sturmtief »Boris« hat Teile Mittel- und Osteuropas schwer getroffen, sinkende Pegel offenbaren jetzt erst das ganze Ausmaß der Schäden. Während vielerorts das Schlimmste als überstanden gilt, haben andere es erst noch vor sich.

»Boris« zieht weiter: Nachdem das Sturmtief in Mittel- und Osteuropa schwere Zerstörung verursacht und zahlreiche Menschen das Leben gekostet hat, trifft es nun Italien. Auch dort gibt es bereits einen Toten: Bei heftigen Regenfällen in der Region Apulien im Süden des Landes ist ein Feuerwehrmann gestorben.

Der Geländewagen des 59 Jahre alten Mannes wurde in der Nähe der Gemeinde San Severo von Wassermassen mitgerissen, wie die Behörden mitteilten. Dabei ertrank er. Der Mann wollte den Angaben nach anderen Autofahrern helfen, er hätte demnächst in Rente gehen sollen.

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Bislang 23 Hochwassertote in Mittel- und Osteuropa

In Österreich kamen wegen des Sturms, der hierzulande »Anett« und international »Boris« genannt wird, bislang fünf Menschen ums Leben, darunter auf dramatische Weise ein Ehepaar in Untergrafendorf. Jeweils sieben starben in Polen und Rumänien. In Tschechien entdeckte die Polizei am Mittwoch die Leiche einer Frau, die seit Sonntag vermisst worden war. Wie die Nachrichtenagentur CTK berichtete, war sie in einem Zaun in der Nähe ihres Hauses am Fluss Vidnavka hängengeblieben. In dem Land starben drei weitere Menschen in Folge der Fluten. Damit erhöht sich die Zahl der Hochwassertoten in Mittel- und Osteuropa insgesamt auf 23. Mehrere Menschen gelten weiter als vermisst.

Das Sturmtief hatte seit Freitag für sintflutartige Regenfälle und Überschwemmungen gesorgt. Es setzte weite Landstriche unter Wasser und zerstörte Tausende Häuser. Mittlerweile gehen die Pegel vielerorts zurück – sichtbar werden gewaltige Schäden.

In Österreich beginnt das große Aufräumen

18 Ortschaften und Gebiete in Niederösterreich waren am Mittwoch immer noch nicht erreichbar, vor allem im Tullnerfeld und im Pielachtal. Es kam noch einmal zu 20 Dammbrüchen. Insgesamt wurden in dem Bundesland, das Österreichs Hauptstadt Wien umgibt, bisher fast 1400 Gebäude vorsorglich evakuiert. 87 Menschen wurden mit Hubschraubern in Sicherheit gebracht.

Generell aber gehe das Hochwasser leicht zurück, teilte der stellvertretende Landeshauptmann von Niederösterreich, Stephan Pernkopf, der Nachrichtenagentur APA mit. Mit den fallenden Pegeln werde nun auch »das Ausmaß der verheerenden Schäden immer sichtbarer«, die Aufräumarbeiten laufen langsam an.

Trotz sinkender Pegel bleibt die gesamte Donau weiter für den Schiffsverkehr gesperrt, genau wie viele Straßen und Zugstrecken. Die wichtigste Bahnstrecke des Landes von Wien Richtung Westen und damit auch Richtung Deutschland ist allerdings wieder befahrbar, teilte der staatliche Eisenbahnunternehmen ÖBB mit. Die österreichische Bahn rät dennoch bis einschließlich Donnerstag von nicht unbedingt notwendigen Reisen ab. Wegen der starken Regenfälle war es vor allem in Wien zu massiven Problemen beim öffentlichen Nahverkehr gekommen. Am Mittwoch nahmen die U-Bahnen in der Zwei-Millionen-Stadt ihren Betrieb wieder auf.

Deiche in Polen weiter unter großer Belastung

Die Hochwasserwelle hat derweil die Region nahe Wroclaw (Breslau) erreicht. In der Kleinstadt Olawa 26 Kilometer südöstlich der niederschlesischen Metropole sei der Wasserstand der Oder in der Nacht zu Mittwoch um anderthalb Meter gestiegen, teilte der Generalstab der polnischen Armee auf X mit. Nach Angaben des Bürgermeisters der Stadt mit 33.000 Einwohnern werde die Flutwelle mit maximal 7,70 Metern jedoch niedriger als erwartet – normal sind mehr als zwei Meter. Der hohe Wasserstand könne aber länger anhalten als ursprünglich prognostiziert. Dies bedeutet eine große Belastung für die Deiche, die dem Wasser standhalten müssen. Ein Sprecher der Feuerwehr sagte der Nachrichtenagentur PAP, viele Bürger würden den Einsatzkräften dabei helfen, die Deiche mit Sandsäcken zu verstärken.

Auch in Breslau wurde der Hochwasserschutz vorsorglich verstärkt. Die Flutwelle der Oder wird für Donnerstag oder Freitag erwartet. Beim Oderhochwasser 1997 wurde die Stadt mit 630.000 Einwohnern zu einem Drittel überschwemmt.

Am Donnerstag will sich EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in Polen ein Bild von den Flutschäden machen. Auf Einladung des polnischen Ministerpräsidenten Donald Tusk reist sie nach Breslau, wo auch der österreichische Kanzler Karl Nehammer sowie die Regierungschefs der Slowakei und Tschechiens, Robert Fico und Petr Fiala, erwartet werden.

Erste Plünderungen in Tschechien

In Tschechien ist es vereinzelt zu ersten Plünderungen in den Hochwasser- und Überschwemmungsgebieten gekommen. Der Polizei seien bisher drei derartige Fälle bekannt, sagte Innenminister Vit Rakusan nach einer Krisensitzung in Prag. Das Gesetz sehe in Katastrophenlagen wie dieser deutlich höhere Strafen für solche Taten vor. Für das Ausrauben eines Hauses drohten bis zu 15 Jahre Gefängnis ohne Bewährung.

Indes laufen bereits die ersten Aufräumarbeiten. Vielerorts bot sich den Helfern ein Bild der Zerstörung. Schlammmassen drangen in Geschäfte, Wohnungen und Schulen ein. Die Armee kam mit schwerem Gerät zum Einsatz. Hubschrauber brachten Trinkwasser und Lebensmittel in Städte und Gemeinden im Altvatergebirge an der Grenze zu Polen, die wegen beschädigter Straßen und eingestürzter Brücken von der Außenwelt abgeschnitten waren.

Entlang der Elbe an der Grenze zu Sachsen wird im Laufe des Tages eine weitere Zunahme des Wasserstands erwartet. In Usti nad Labem (Aussig an der Elbe) sollen Hochwasserbarrieren und Sandsäcke das Stadtgebiet schützen. An der Marienbrücke wurde ein Mensch in der Elbe gesehen, eine Suchaktion blieb indes erfolglos. Viele Uferflächen waren überflutet, der Ortsteil Dolni Zleb im Elbtal war nur mit der Bahn zu erreichen. Landesweit galt noch an mehr als 25 Pegelstationen die höchste Hochwasser-Alarmstufe.

Aufatmen in Dresden, Alarmbereitschaft in Brandenburg, Entspannung in Bayern

Derweil hat die Elbe in Dresden am Mittwoch bei nur noch langsam steigendem Hochwasser die zweithöchste Warnstufe drei erreicht. Nach Angaben der sächsischen Hochwasserzentrale lag der Pegel in der sächsischen Landeshauptstadt bei 6,05 Meter. Auch in Schöna erreichte der Elbpegel Warnstufe drei, hier lag der Wasserstand bei 6,62 Metern. Bei der Warnstufe drei kann es zu Überschwemmungen bebauter Gebiete, von Straßen und Schienen kommen. Die höchste Alarmstufe vier wird allerdings an keinem sächsischen Elbpegel erwartet. Im Gegenteil: Ab Donnerstag wird wegen nachlassender Niederschläge auch mit sinkenden Wasserständen an der Elbe gerechnet.

In Brandenburg sind die Behörden weiter in Alarmbereitschaft. Nach der Prognose des Landesamtes für Umwelt wird bei dem Ort Ratzdorf, wo die Oder zuerst brandenburgisches Gebiet erreicht, in den nächsten Tagen die höchste Alarmstufe 4 mit einem Wasserstand von um die sechs Meter erreicht.

Anders die Lage in Bayern. Der Hochwassernachrichtendienst teilte mit, dank des erwarteten trockenen Wetters ende die Hochwasserlage. Nur an einzelnen Pegeln, zum Beispiel bei der Mündung der Isar in die Donau nahe Deggendorf, seien zwischenzeitlich noch leichte Anstiege der Stände zu erwarten. Danach sei damit zu rechnen, dass das Wasser zurückgehe – auch weil die Schneeschmelze in den Alpen »moderat« ausfallen soll.

Italien hat vielerorts das Schlimmste noch vor sich

In Italien ist der Höhepunkt von Regenfällen und Flutwellen derzeit noch nicht überschritten. In der Toskana und der Emilia Romagna gab es bereits heftige Niederschläge. Viele Flüsse traten über die Ufer, die Feuerwehr musste wegen Hochwasser ausrücken. Weitere Einsätze und eine Zuspitzung der Situation werden erwartet: Nach den Prognosen der Wetterdienste soll »Boris« in weiten Teilen Italiens zumindest bis Freitag heftigen Regen bis hin zu Wolkenbrüchen bringen.

Zwei Millionen Hochwasser-Betroffene, Forderung nach mehr Klimaschutz

Insgesamt sind nach Angaben von EU-Kommissar Janez Lenarcic in den vergangenen Tagen fast zwei Millionen Menschen von den Überschwemmungen in Teilen Europas betroffen gewesen. »In nur wenigen Tagen fiel das Drei- bis Vierfache der durchschnittlichen monatlichen Niederschlagsmenge«, so der für Krisenprävention zuständige Spitzenpolitiker in einer Rede im Europaparlament in Straßburg. Dadurch seien Flüsse wie die Donau auf ein Niveau anstiegen, das seit einem Jahrhundert nicht mehr erreicht worden sei.

Diese Tragödie sei keine Anomalie. Sie werde schnell zur Norm für die Zukunft, sagte Lenarcic. Es brauche mehr Schutz. »Jeder Euro, der in Prävention und Vorsorge investiert wird, bringt in der Regel zwischen zwei und zehn Euro an vermiedenen Verlusten, Reaktionskosten und anderen Vorteilen zurück«, so der EU-Kommissar. Die frisch gewählte Abgeordnete und Aktivistin Carola Rackete forderte, Geld – etwa von Öl- und Gas-Unternehmen – zur Begleichung der Schäden zu nutzen.

Deutschland hat sich im Vergleich zur vorindustriellen Zeit bereits um 1,6 Grad erwärmt – das ist mehr als der weltweite Durchschnitt und führt laut Umweltbundesamt sowie Deutschem Wetterdienst unter anderem zu häufigeren Hitzewellen und Dürrephasen. Schäden durch stärkere Unwetter kommen hinzu.

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