SKI: MARCEL HIRSCHER KEHRT ZURüCK – DER GROßE PLAN DES SUPERSTARS

Die österreichische Skiikone Marcel Hirscher will nach fünf Jahren Pause wieder Rennen fahren – für die Niederlande. Die Ankündigung erstaunt, der Weg in den Weltcup ist steinig. Ein Profiteur steht aber bereits fest.

In den vergangenen Jahren mangelte es nicht an Gerüchten, Marcel Hirscher könnte wieder in den Skizirkus zurückkehren. Wenige Monate nach seinem Rücktritt trat er 2020 im Training gegen die österreichische Riesenslalom-Elite an und verbreite ein Video seiner Testfahrt. Kurz danach machten Meldungen die Runde, Hirscher habe alle in den Schatten gestellt. Schnell waren sich Beobachter einig: Der hat noch nicht abgeschlossen. Aber Hirscher hielt sich bedeckt.

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Vor zwei Jahren dann nahm Hirscher die berüchtigte Streif in Angriff. Als Vorläufer, perfekt orchestriert und filmisch begleitet von seinem Sponsor Red Bull. Er kam heil ins Ziel, Red Bull veröffentlichte ein Video und nannte es »Don't Call It A Comeback«.

Das große Thema war danach natürlich ein mögliches Comeback. Und Hirscher? Ließ die Ski-verrückten Österreicher weiter rätseln.

Bis jetzt. Am Mittwoch verkündete der 35-Jährige, dass er wieder Skirennen fahren wird. Rund fünf Jahre nach seinem Rücktritt. Es ist eine Ankündigung, die Österreich und die Skiwelt in helle Aufregung versetzt. »Ich möchte wieder Wettkämpfe bestreiten – einfach, weil es mir Spaß macht«, teilt Hirscher mit. »Das ist genau das, was der Skisport braucht in einer Zeit, die nicht einfach ist«, sagt Felix Neureuther der Nachrichtenagentur dpa.

Ein solches Comeback gab es noch nie

Für viele Experten gilt Hirscher als der beste Skirennfahrer der Geschichte. Ein Ausnahmetalent, das schon in Jugendzeiten die Konkurrenz beherrschte. Er trainierte härter und akribischer als viele seiner Konkurrenten, tüftelte nächtelang am Material, baute mit Vater Ferdinand ein Privatteam um sich herum auf, gegen alle Widerstände aus dem österreichischen Verband. Er gewann achtmal in Folge den Gesamtweltcup, wurde siebenmal Weltmeister, zweimal Olympiasieger.

Die Rückkehr ist ein einzigartiger Schritt im Skirennsport. Comebacks sind zwar an der Tagesordnung, meistens aber aus der Not geboren nach Kreuzbandrissen oder Knochenbrüchen. Nach einer so langen freiwilligen Pause kam aber noch niemand zurück. »Ich habe mit einem Comeback gerechnet, aber ein oder zwei Jahre nach seinem Rücktritt. Jetzt nicht mehr«, sagt der liechtensteinische Ex-Skirennläufer Marco Büchel dem SPIEGEL. »Dass er mit dem Skirennsport nicht abgeschlossen hat, war aber klar«, sagt Büchel, der heute als TV-Experte arbeitet.

Noch ungewöhnlicher wird die ganze Causa dadurch, dass Hirscher nicht mehr für Österreich fahren wird, sondern für die Niederlande, das Geburtsland seiner Mutter. Er wolle keinem jungen Österreicher den Startplatz wegnehmen.

Zudem nimmt der Verbandswechsel auch Druck von Hirscher, in Österreich ist Hirscher ein Superstar, jeder zweite Platz wurde ihm während seiner Karriere als krachende Niederlage ausgelegt. »Ich bin kein öffentliches Kulturgut«, klagte er mal. 2019 trat er zurück, erschöpft vom Weltcupzirkus und dem Druck der Öffentlichkeit.

Über allem steht nun die Frage, wie ernst es Hirscher wirklich meint. Er kann nicht sofort wieder im Weltcup antreten, Wildcards wie etwa im Tennis sind im alpinen Rennsport auch für Legenden nicht vorgesehen, also muss Hirscher die Ochsentour bestreiten. Über zweit- und drittklassige FIS-Rennen muss er Punkte sammeln, die ihm wieder einen Weltcupstart erlauben. Beginnen wird er damit im Sommer in Neuseeland, bei Veranstaltungen ohne TV-Kameras und zu denen meist mehr Trainer denn Zuschauer kommen.

Der Kontrast zu seinem Leben als Weltcupstar mit Siegen vor Zehntausenden Fans könnte krasser nicht sein.

Nur wer bei diesen unterklassigen Rennen reüssiert, qualifiziert sich für höhere Aufgaben wie den Weltcup. Büchel traut Hirscher die Rückkehr zu: »Er hat die ganze Zeit trainiert, der wird körperlich und technisch noch bei 70 bis 80 Prozent sein.« Einfach werde es aber nicht, dass Hirscher, einst Dominator im Slalom und Riesenslalom, im Handumdrehen mit Gesamtweltcupsieger Marco Odermatt mithalten könne, glaubt Büchel nicht.

Er fährt seine eigenen Ski

Wenn alles ideal laufe, so Büchel, könne sich Hirscher bis zur Ski-WM 2025 in Saalbach wieder im Weltcup etabliert haben. Hirscher selbst gibt sich noch zurückhaltend, aber dass der ehrgeizige Sportler gern beim Großevent in seiner Heimat dabei wäre ist ein offenes Geheimnis. »Das könnten Bilder werden wie bei der Formel 1 in Zandvoort, eine Tribüne voller oranger niederländischer Fans«, sagt Büchel, nur halb im Scherz. »Es tut dem Sport auf jeden Fall gut, wenn neue Fans dazukommen.«

Was er auf jeden Fall geschafft hat, ist Aufmerksamkeit zu generieren. Für sich und die von ihm gegründete Skimarke, die er in Anlehnung an seinen Namen »Van Deer« getauft hat. Schon vor drei Jahren kündigte er an, dass es seine Ski in den Weltcup schaffen werden. Wo sie dann im Fernsehen von Hobbyskifahrern gesehen werden, die im nächsten Skiurlaub dann auch mit den Hirscher-Ski fahren wollen.

Das Ziel hat Hirscher erreicht, auch wenn die teuren Ski im Breitensport noch selten vorkommen. Vor zwei Jahren stieg Red Bull in die Firma ein. Seitdem fährt mit Henrik Kristoffersen auch alpiner Star die Hirscher-Ski, der Norweger wurde im Vorjahr Slalom-Weltmeister, hatte in dieser Saison aber immer wieder Probleme mit seinem Material: »Da wartet noch Arbeit auf sie«, sagt Experte Büchel.

Womöglich heißt es bald Niederlande gegen Brasilien

Nun ist Kristoffersen in der Skiwelt ein großer Name, mit der Strahlkraft Hirschers kann er aber nicht ansatzweise konkurrieren. Allein schon deshalb dürfte Hirscher und Red Bull einiges daran gelegen sein, dass sich das Comeback nicht als reine PR-Nummer herausstellt.

Hirscher jedenfalls schart bereits ein schlagkräftiges Privatteam um sich. Möglich sei dem Vernehmen nach zudem Trainingspartnerschaft mit einem anderen Rückkehrer: Lucas Braathen. Der 24-Jährige war einer der Nachfolger Hirschers und holte sich 2023 die Weltcupwertung im Slalom. Vor der abgelaufenen Saison überwarf er sich mit dem norwegischen Verband, für den er bislang gestartet war. Vor einigen Wochen kündigte auch er seine Rückkehr an, für Brasilien. Das Geburtsland seiner Mutter.

Nun ist das brasilianische Skiteam ähnlich schlagkräftig aufgestellt wie das niederländische, was dazu führt, dass auch Braathen nicht mit Trainern vom Zuckerhut üben wird. Sondern vor allem von Red Bull unterstützt wird, der Brausegigant sponsert auch Braathen.

Braathen, ein Exzentriker, der Mode designt und auch ein Publikum anspricht, das mit Skisport wenig gemein hat und Hirscher, der Dominator, der es noch mal alles zeigen will. Es sind die perfekten Werbegesichter.

Dieser Weg zurück ist für Braathen kürzer als für Hirscher, ausgeschlossen aber ist es nicht, dass bald ein Brasilianer und ein Niederländer gegeneinander um Siege im Weltcup kämpfen.

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