WIRBEL UM EINREISEVERFAHREN - IN BAERBOCKS VISA-AFFäRE SORGT EINE NEUE ANWEISUNG FüR GROßEN FRUST

Bei ihrem Amtsantritt verspricht Annalena Baerbock den Abbau bürokratischer Hürden bei der Einreise besonders gefährdeter Menschen aus Afghanistan. Zweieinhalb Jahre später verzögert eine neue Anweisung aus dem Auswärtigen Amt die Verfahren. Botschaftsmitarbeiter beklagen enormen Druck.

„Wir werden bürokratische Hürden abbauen, um die Aufnahme und die Einreise nach Deutschland für besonders gefährdete Afghaninnen und Afghanen zu erleichtern“ - diesen Satz sagte Annalena Baerbock bei ihrem Amtsantritt als Außenministerin im Dezember 2021. Rund zweieinhalb Jahre später ist davon wenig geblieben. Mittlerweile geht es sogar um die Frage, ob der Bürokratieabbau zulasten geltender Gesetze geht.

Die Staatsanwaltschaften Berlin und Cottbus beschäftigen sich mittlerweile mit 20 Einreisgenehmigungen, die trotz gefälschter oder ungültiger Pässe und trotz erheblicher Bedenken, ausgestellt wurden. Laut „Welt am Sonntag“ gehe es sogar um eine hohe vierstellige Anzahl an Visa-Genehmigungen, die überprüft würden. Laut „Business Insider“ beschränke sich die Affäre nicht nur auf Einreisen aus Afghanistan.

Erst seit Baerbocks Amtsantritt dominiert das Prinzip der „Alternativen Glaubhaftmachung“

Für Unruhe sorgt zudem eine Verwaltungsvorschrift, die deutsche Botschaften von Berlin aus erreichte. Mitarbeiter wurden darin angewiesen die Visa-Vergabe nicht von amtlichen Dokumenten abhängig zu machen, speziell in Ländern mit unzuverlässigem Dokumentenwesen. „Alternative Glaubhaftmachung“ nennt sich das Prinzip. Das heißt, dass Mitarbeiter abwägen sollen, ob Befragungen oder vorgelegte Impfpfässe oder Schülerausweise reichen, wenn kein Pass oder Ausweis vorgelegt werden kann.

Neu ist das Prinzip keineswegs. Allerdings wird es erst seit Baerbocks Amtsantritt so häufig angewendet. Das geht auch aus einem Dokument hervor, aus dem „Business Insider“ zitiert. „Es ist nicht erforderlich, dass die Behörde mit absoluter Gewissheit die Richtigkeit des Sachverhalts feststellen muss“, heißt es darin. Und: „Eine Ablehnung allein aufgrund nicht vorliegender Belege ist nicht möglich.“

„Deutschland geht einen Sonderweg“: Botschaftsmitarbeiter monieren Umkehr des Nachweisprinzips

In den Botschaften wird das so aufgefasst, dass Visa-Anträge eher schnell und positiv beschieden statt ordentlich geprüft werden sollen. Das sorgt für Frust. Mitarbeiter aus drei verschiedenen Botschaften, die anonym bleiben wollen, bestätigten das gegenüber „Business Insider“. „Deutschland geht einen Sonderweg“, sagen sie übereinstimmend und betonen, dass es derartige Anweisungen sonst nirgends in der EU gebe.

Das Prinzip der „Alternativen Glaubhaftmachung“ sei eine Umkehr des Nachweisprinzips monieren sie weiter. „Die Botschaften sind im Grunde angehalten, jeden noch so kleinen Beweis anzufordern und zu berücksichtigen“, erklärt ein Botschaftsmitarbeiter. Zudem sei die gelebte Praxis, dass das Interesse des Staates an einer Steuerung des migrantischen Zuzugs überwiege, nicht mehr üblich. „Mittlerweile scheinen aber die Einzelinteressen der Antragstellenden zu überwiegen, was das System auf den Kopf stellt."

Ein weiteres Problem der „Alternativen Glaubhaftmachung“: Sie ziehe Visa-Verfahren in die Länge. Während Botschaftsmitarbeiter üblicherweise von einem geschulten Dokumentenberater der Bundespolizei unterstützt werden, der die Echtheit und Richtigkeit amtlicher Dokumente prüft, ist das nun anders.

„Zeitaufwendig und subjektiv“: Wie Baerbocks Anweisung die Visa-Verfahren verzögert

Alternative Nachweise wie Schülerausweise und Hochzeitsfotos oder Zeugenaussagen müssen die Botschaftsmitarbeiter allein beurteilen. „Das ist extrem zeitaufwendig und auch subjektiv. Während einem Visa-Entscheider vielleicht weniger Nachweise reichen, fordert ein anderer nach“, sagt ein Beamter.

Obwohl das Auswärtige Amt vermittle, dass die Entscheidungsbefugnis weiter bei den Beamten in den Botschaften liege, spreche das Klima dort eine andere Sprache. „Der Druck ist enorm“, sagt ein langjähriger Mitarbeiter dem „Business Insider“, abgelehnte Aufträge würden in Berlin nicht gern gesehen.

Aus dem Auswärtiges Amt heißt es auf Anfrage von „Business Insider“, dass man „grundsätzlich Sorgen seiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ernst“ nehme. Hinweisen auf Unregelmäßigkeiten gehe man "ohne Ausnahme“ nach. Den Vorwurf des Drucks von oben kommentiert die Behörde damit, dass das Bundesbeamtengesetz Beamte „bei Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit dienstlicher Anordnungen zur Remonstration gegenüber ihren Dienstvorgesetzten“ verpflichte.

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