HILFE KOMMT VON OBEN: RETTUNG AUS DER LUFT FüR KITZE

Jäger und Landwirte bewahren kleine Rehe vor einem grausamen Tod

Hilfe kommt von oben: Rettung aus der Luft für Kitze

Wenn Landwirte zur ersten Mahd herausfahren, bedeutet das Lebensgefahr für die Kitze, die versteckt in den Wiesen liegen. Doch Rettung naht von oben.

Oberallgäu – Ein surrendes Geräusch ist zu hören, bald möchte man denken, dass es eine überdimensionierte Hummel ist, die unmittelbar neben einem fliegt – doch falsch gedacht. Es ist eine Drohne, mit deren Hilfe Cindy Bay vom Verein „Kitzrettung Niso Nord“ an diesem sonnigen Apriltag morgens eine Wiese abfliegt, die bald gemäht werden soll. Doch sie schaut nicht etwa, ob das Gras hoch genug steht und sich die Mahd lohnt. Sie prüft, ob sich in der grünen Fläche Rehkitze befinden, denn sie möchte die Tierkinder vor einem grausamen Tod bewahren.

Also lässt sie die Wärmebild-Drohne steigen, das moderne Flugobjekt entfernt sich und Bay wendet ihre Augen vom Himmel ab und richtet sie auf den Bildschirm vor sich. Ein Laie sieht dort nur etwas, was an eine Mondlandschaft erinnert – alles grau, hier und da ein paar weiße Flecke. Auf eben jene hat die Drohnenpilotin es abgesehen. Denn sie zeigen an, dass dort etwas ist, was wärmer ist als die Umgebungstemperatur. Doch was?

Allgäuer Verein rettet Kitze mit einer Wärmebild-Drohne

Der Verein hat sich im letzten Jahr gegründet, pünktlich zu der Zeit, als die Geißen ihre Kitze setzten, so Bay. Die Jägerin, die mit ihrem Mann und ihrem Bruder das Revier Stoffelberg in Waltenhofen-Niedersonthofen betreut, erzählt, dass sie früher mit sechs bis sieben Mann die Wiesen abgelaufen ist. „Und selbst dann kann man in kurzer Distanz an einem Kitz vorbeilaufen und sieht es nicht“, sagt sie. Deshalb kamen Überlegungen auf, wie man es besser machen könnte – eine Wärmebild-Drohne wäre sehr hilfreich, die kostet allerdings 7.000 Euro.

Die Bundesanstalt für Ernährung und Landwirtschaft (BLE) fördert solche Anschaffungen, allerdings nur, wenn „man ein eingetragener Verein ist“ und „die übernehmen auch nur 60 Prozent der Finanzierung“. Die Gründung des Vereins war laut Bay nur durch die große Spendenbereitschaft der Dorfgemeinschaften Rieggis und Linsen möglich. Und bei der Anschaffung der Drohne griffen der „Kitzrettung Niso Nord“ die Wald- und Wiesenbesitzer im Revier von Bay und ihren Mitstreitern unter die Arme. Wie die Jägerin erzählt, ist den Eigentümern der Flächen die Kitzrettung sehr wichtig; unabhängig davon, dass sie gesetzlich dazu verpflichtet sind, die Wiesen vor der Mahd nach Kitzen abzusuchen – sonst droht ein hohes Bußgeld. „Die meisten sagen, es ist so schrecklich, wenn man eines anfährt, und sie wollen das nicht.“ Deshalb hat jeder einzelne von ihnen geholfen und so kamen die restlichen 3.000 Euro zusammen.

Tierische Rettungsaktion von Jägern und Landwirten

Heuer startet die Drohne in ihre zweite Saison. „Wir suchen jetzt die nächsten acht bis zwölf Wochen“, so Bay und erklärt, dass sie immer fliegen, wenn gutes Wetter ist – unabhängig davon, ob ein Landwirt sie kontaktiert, weil er bald mähen möchte. Wenn sie auf eigene Faust mit der Drohne eine Wiese absuchen und sie fündig werden, dann markieren sie die Grünfläche mit einem Stecken, der oben bunt angemalt ist. „So weiß der Landwirt Bescheid, dass in dem Gras ein Kitz liegt“, sagt die Drohnenpilotin.

Egal ob sie eigenständig oder auf Wunsch des Wiesenbesitzers fliegen, sie gehen dabei immer gleich vor: Los geht die potenzielle Rettungsaktion in der Früh. Dann ist die Umgebungstemperatur noch niedrig und man kann die Tierkinder besser ausmachen. Im Tagesverlauf erwärmen sich Steine, Kuhfladen und Maulwurfshügel und auf dem Bildschirm der Jägerin tauchen viele weiße Punkte auf, die sie alle anfliegt.

Nach kurzer Gefangenschaft ruft die Freiheit

Entpuppt sich ein Punkt als Kitz, dann gehen die Freiwilligen zu dem kleinen Reh. Ausgerüstet mit Handschuhen und Grasbüscheln, nehmen sie es aus der Wiese und setzen es in eine Transportbox, die mit Gras ausgelegt ist. Würde man es nur am Rand der Grünfläche absetzen, dann würde es wieder zurückspringen, wie Bay sagt – Tragödie inklusive, das Kitz würden vermäht werden.

Ist der braune Langbeiner aus der Schusslinie, kann der Landwirt mit der Mahd beginnen. Sobald die Gefahr für den tierischen Nachwuchs vorbei ist, wird er in die Freiheit entlassen und am Waldrand abgesetzt. „Ist wieder Ruhe eingekehrt, kehrt auch die Geiß zurück“, weiß die Jägerin.

Rat an alle Tierliebhaber

Heute entpuppen sich die weißen Punkte als Maulwurfshügel und Kuhfladen, ein Kitz liegt nicht in der Wiese. Doch die Saison beginnt gerade erst und deswegen hat Bay auch einen Rat an alle, die bei ihrem Spaziergang auf ein kleines Reh stoßen: „Man kann sich kurz daran erfreuen, dass man das Glück hatte, so ein Tierchen zu sehen“, doch man sollte es nicht anfassen, sich nicht nähern und schon gar keinen Hund ran lassen. Denn das Kitz ist nicht verwaist, es wurde von seiner Mutter dort abgelegt und die Geiß kommt alle zwei bis vier Stunden, um es zu säugen.

Zum Abschied fasst Bay die Intention für ihr Engagement und die des Vereins folgendermaßen zusammen: „Wir machen es der Tiere wegen und nicht des Geldes wegen.“ Dennoch freut sich der Verein über Unterstützung. Wer die „Kitzrettung Niso Nord“ unterstützen oder beauftragen möchte, der kann sich melden unter Tel. 0162/9827016 oder per Mail an [email protected].

Mit dem Kreisbote-Newsletter täglich zum Feierabend oder mit der neuen „Kreisbote“-App immer aktuell über die wichtigsten Geschichten informiert.

2024-04-20T06:27:33Z dg43tfdfdgfd