RUSSLAND: SCHLAG GEGEN DIE ALTE ELITE

Hinter den Scheiben des Angeklagtenkäfigs steht ein Mann in dunkelgrüner Uniform. Es ist Timur Iwanow, 48 Jahre alt, glattrasiert und pausbackig. Die randlose Brille lässt ihn wie einen Buchhalter wirken. Der Beschuldigte, den das Moskauer Gericht unter dem Vorwurf, Schmiergeld erhalten zu haben, in Untersuchungshaft nehmen lässt, ist auch kein Soldat. Der Ökonom war fast acht Jahre lang einer der Stellvertreter von Verteidigungsminister Sergej Schojgu, koordinierte Bauvorhaben. Wie lukrativ das für Iwanow war, haben Rechercheure aufgezeigt, lange ohne Folgen. Doch jetzt ist Iwanow „der mit Blick auf Machthierarchie und Einfluss ranghöchste Verdächtige seit Anfang des Krieges“, wie die Journalistin Farida Rustamova hervorhebt.

Spätestens von 2012 an hat Iwanow für Schojgu gearbeitet. Damals fungierte Schojgu einige Monate als Gouverneur des Moskauer Gebiets. Im Herbst jenes Jahres wurde er Verteidigungsminister. Iwanow ging mit Schojgu mit, führte ein ministeriumseigenes Bauunternehmen, bis er 2016 den Vizeministerposten erhielt. Für Schojgu trieb Iwanow etwa die Errichtung des „Patriotenparks“ westlich von Moskau samt der „Hauptkirche der Streitkräfte“ voran, einem Koloss in Dunkelkhaki. In der Kirche „befinden sich echte Reliquien“, schwärmte Iwanow im Staatsfernsehen, „einzigartige Sachen sind dort, bis hin zu einem Anzug Hitlers, der erhalten geblieben ist. Auch Mützen Hitlers sind dort“.

Schon 2019 führte der russische „Forbes“-Ableger Iwanow auf einer Liste der reichsten Sicherheitsfunktionäre. Da hatte das Investigativmedium „Projekt“ Iwanow und seiner damaligen Frau, Swetlana Maniowitsch, schon Luxusimmobilien in und nahe Moskau – an der sogenannten Rubljowka, einem Sammelpunkt von Präsident Wladimir Putins Elite – zugeordnet, deren Wert mit offiziellen Bezügen nicht zu erklären war. Ende 2022 enthüllten Alexej Nawalnyjs Korruptionsjäger weitere Details: Reisen der Familie in Villen an die Côte d’Azur, Autos der Marke Rolls Royce, Juwelen- und Mode-Shopping der Frau in Paris und Moskau. Oftmals, so die Rechercheure, zahlten Bauunternehmen, mit denen Schojgus Ministerium Geschäfte machte, Rechnungen für die Familie. Auch während des Überfalls auf die Ukraine Ende Februar 2022 und danach bereiste Maniowitsch weiter die EU, etwa, um eine Tochter in Paris zu besuchen. Iwanow koordinierte derweil Bauprojekte im zerstörten Mariupol.

Putin kündigte „neue Elite“ an

Von Washington wurde er im März 2022, von der EU erst im Oktober jenes Jahres mit Sanktionen belegt. Er und Maniowitsch ließen sich im Sommer 2022 scheiden. Nawalnyjs Leute zeigten im Juli 2023, dass Iwanow nun mit Marija Kitajewa liiert ist: Die Tochter einer Moskauer Baufunktionärin begann beim Fernsehen, wurde Beraterin im Verteidigungsministerium und bekam mit einem weiteren Stellvertreter Schojgus drei Kinder. Aufnahmen aus dem Leben Iwanows zeigen neben Jachten, Autos und Champagner bekannte Gesichter. Anderen voran das von Putins Sprecher. So bringt Dmitrij Peskow auf einer Feier an der Rubljowka einen Trinkspruch aus, Iwanow tritt hinzu und zieht den Ärmel der Wolljacke des Sprechers über eine teure Uhr an dessen Handgelenk. Am Dienstagabend sagte Peskow, der Präsident sei über die Festnahme „unterrichtet“, Schojgu davon „zuvor in Kenntnis gesetzt worden“. Noch am Mittag hatte Iwanow an einer Sitzung mit Schojgu teilgenommen.

Putin hat angekündigt, dass aus dem Krieg eine „neue Elite“ hervorgehen solle. Wie weit er geht, ist unklar. Am 7. Mai wird Putin abermals ins Präsidentenamt eingeführt, danach wohl die Regierung umbilden. Sollte Schojgu, über den es gleichfalls Korruptionsrecherchen gibt, im Amt bleiben, dann unter ständiger Strafprozessdrohung. Am Mittwoch kam erst einmal auch ein mit Iwanow verbundener Unternehmer in Haft. In „Z-Kanälen“ feierten Kriegsenthusiasten den Sturz Iwanows auf der Linie Jewgenij Prigoschins. Der Anführer der Wagner-Miliz, der im August zwei Monate nach seinem Aufstand bei einem Flugzeugabsturz umkam, hatte Schojgus Leuten Korruption vorgeworfen. Doch auch Prigoschin kommt in den Recherchen von Nawalnyjs Leuten vor: Er besorgte demnach 2016 auf Initiative Iwanows einen Evakuierungsflug, der die damals schwangere Kitajewa aus Italien nach Moskau brachte, als verfrühte Wehen einsetzten.

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