UNSERE MüTTER DACHTEN, WIR MACHEN EINEN SCHERZ

Frau Cheema, Sie sind als Tochter pakistanischer Einwanderer in Frankfurt geboren. Sie, Herr Mendel, kamen als Student aus Israel nach München. Sie sagen, dass sich mit dem Überfall der Hamas auf Israel am 7. Oktober Ihr Leben verändert habe. Für die einen seien Sie heute ein Zeichen der Hoffnung, für andere eine Provokation. Benjamin Netanjahu bezeichnete gemischte Ehen wie Ihre als „stillen Holocaust“. Wie gehen Sie mit diesen extremen Zuschreibungen um?

Meron Mendel: Das ist sehr ambivalent. Aber wir können schlechterdings niemandem vorwerfen, eine Meinung zu uns zu haben. Wir haben uns ja dazu entschieden, die Kolumne zu schreiben und uns damit zu exponieren. Es war allerdings auch eine Flucht nach vorn, weil die Fragen und Themen, die wir darin verhandeln, uns seit jeher betreffen und wir das immer wieder diskutieren. Seit dem 7. Oktober wird nun auch von außen sehr viel in uns und unseren muslimisch-jüdischen Haushalt hineinprojiziert. Es gibt Stimmen, die sagen: Wenn das bei euch klappt, muss das doch auch im großen Stil klappen. Aber man kann nicht ein Alltagsleben mal eben mit dem Nahostkonflikt vergleichen. Den lösen wir auch nicht beim Abendessen.

Saba-Nur Cheema: In erster Linie spielt sich der Konflikt zwischen Juden und Muslimen in Nahost ab, aber auch hierzulande funktioniert die Beziehung nicht wirklich gut. Die vielen jüdisch-muslimischen Dialogprojekte arbeiten daran, doch häufig umgehen sie die Streitthemen. Weil die Lebensrealitäten so unterschiedlich sind, gibt es selten jüdisch-muslimische Ehen. Bei uns kommt dazu, dass unsere jeweilige Religiosität anders ausgeprägt ist: Ich bin sehr religiös aufgewachsen, Meron wurde im Kibbuz in Israel säkular erzogen.

Wie war das, als Sie beide erkannten, dass Sie ein Paar werden wollten? Wie haben Ihre jeweiligen Familien reagiert?

Mendel: Meine Eltern in Israel waren sehr aufgewühlt. Meine Mutter sagte, sie werde das niemals akzeptieren. Sie konnten zunächst nichts sagen, bis mein Vater irgendwann versuchte, sich vorzustellen, wie ihre jeweiligen Väter wohl darauf geschaut hätten. Meine Großväter leben nicht mehr, aber es war schnell klar: Für den einen wäre es absolut unmöglich gewesen, dass ich eine Muslima heirate. Für den anderen wäre nicht das ein Problem gewesen, aber dass ich eine Deutsche heirate, das er hätte niemals akzeptiert.

Wie war das bei Ihnen, Frau Cheema?

Cheema: Das klingt jetzt vielleicht kitschig, aber wir waren überzeugt von der Liebe. Ich denke manchmal, noch einmal würde ich mich das nicht mehr trauen. Ich weiß gar nicht, woher ich damals den Mut genommen habe. Aber ich wusste: Wir ziehen das jetzt gemeinsam durch.

Haben Sie das Gespräch mit den Eltern denn strategisch vorbereitet?

Cheema: Nein, ich habe es vor mir hergeschoben. Meine Eltern kamen aus einem längeren Auslandsaufenthalt zurück, und ich habe es dann einfach gesagt, am Küchentisch.

Und?

Cheema: Meine Mutter hielt es für einen Scherz. Sie konnte sich einfach nicht vorstellen, dass ich das ernst meine.

Wie wurde das mit den Religionen gelöst? Feiern Sie Weihnachten? Feiern Sie Chanukka, fasten Sie im Ramadan? Oder machen Sie alles zusammen?

Cheema: Weihnachten fällt bei uns weg. Und nein, wir haben auch keinen Christbaum mit Halbmond und Davidstern, wie uns mal eine Freundin fragte. Dafür feiern wir Feste aus unseren beiden Religionen. Im Judentum gibt es allerdings sehr viel mehr, da kommen wir kaum hinterher, im Islam ist es überschaubarer. Für Meron ist das Judentum eher kulturelle Prägung, bei mir ist das anders. Für mich war die Religion einfach immer zentral, schon allein, weil die religiöse Gemeinschaft für meine Familie auch eine soziale Community war.

Die Liebe hat in Ihrem Fall also Berge versetzt, Ihre Eltern sind inzwischen sehr einverstanden. Als Paar irritieren Sie aber immer noch andernorts, Sie treffen auf Skepsis, mitunter auf Hass.

Mendel: Das kommt vor allem aus den jeweiligen Communities, also der muslimischen beziehungsweise jüdischen. Der Vorwurf an uns lautet: Verrat. Wie konntest du das tun? Wie konntest du eine Muslima heiraten? Seit dem 7. Oktober ist das noch krasser geworden. Manche äußern ihr Misstrauen über unsere gemischte Ehe vorsichtig. Aber es gibt auch krasse Beschimpfungen, Hassmails und anonyme Verleumdungen.

Cheema: Auch mir wirft man vor, dass ich durch meine Ehe mit einem Israeli nicht mehr richtig zur muslimischen Community gehören würde. Ich wurde zu Veranstaltungen ein- und wieder ausgeladen, lauter so Sachen. Aber umgekehrt muss man sagen: Es gibt auch sehr viel Akzeptanz. Inzwischen wenden sich viele Muslime an mich, die gegen Normen verstoßen: beispielsweise einen nichtmuslimischen Partner haben oder homosexuell sind. Sie bitten um Rat, wie sie darüber in ihren Familien sprechen können. Es ermutigt sie, dass wir als gemischtes Paar leben und damit offensiv umgehen.

Davon handeln auch Ihre Kolumnen. Bei allem Humorpotential, das Sie dem Sujet interkulturelle Ehe abgewinnen, haben Sie eine ernste Botschaft. Im Kern erzählen diese Texte davon, Brücken zu bauen und der gesellschaftlichen Spaltung entgegenzuwirken.

Mendel: Wir haben uns das selbst einmal gefragt und sind zu einem anderen Schluss gekommen. Als Brückenbauer verstehen wir uns nicht. Wir sind nicht die UNO. Ein Brückenbauer versucht, zwischen Position A und B zu vermitteln. Wir beziehen unsere eigene Position. Ob zum Nahostkonflikt oder zur Identitätspolitik, wir übernehmen keine vorgefertigten Ansichten aus Lagern, sondern entwickeln eine eigene Sichtweise auf die Dinge. Wir bestehen sogar darauf, nicht einem Lager anzugehören und unsere eigene Urteilskraft dorthin auszulagern. Auch deshalb sind wir eine Provokation, weil wir nicht berechenbar sind, wenn wir uns sowohl gegen die Gaza-Protestcamps positionieren als auch für einen Staat Palästina aussprechen.

Cheema: Das verwirrt viele. Weil die Leute häufig in Gruppen denken. Die Neigung, immer zu gucken, was die eigene Peergroup jetzt zu etwas sagt, meine Follower in den sozialen Medien oder die, denen ich folge. Ich halte das für falsch.

Sind Sie denn als Paar immer einer Meinung?

Cheema: Auf keinen Fall. Wir diskutieren oft und auch leidenschaftlich. Und wer die Kolumnen genau liest, erkennt das auch an den jeweiligen Stellen.

Zum Beispiel?

Mendel: Die Religion bei uns ist so ein Trigger. Ich habe ein kulturelles Verständnis von Religion. Ich verstehe, dass Saba ihr Glaube wichtig ist, aber wenn sie dann in Diskussionen sagt, sie bete jetzt für dieses oder jenes, finde ich das zwar sehr schön, kann es aber überhaupt nicht nachvollziehen.

Soeben wurde in Sachsen und Thüringen gewählt. Und eine der Überraschungen war der große Erfolg des BSW. Es heißt, die Partei verfüge über die wohl meisten Mitglieder mit migrantischem Hintergrund. Warum?

Cheema: Warum denn nicht? Das BSW ist zwar migrationskritisch, doch nicht alle Menschen mit Migrationshintergrund sind zwingend für eine offene Migrationspolitik. Ich erlebe das häufig andersherum.

Das müssen Sie mir erklären.

Das sind Leute, die sich in Deutschland häufig aus dem Nichts etwas aufgebaut haben, und dann kommen „Fremde“, die aus ihrer Sicht Probleme mitbringen. Sie befürchten, dass sie von der Mehrheitsgesellschaft zusammen in einen Topf geworfen werden. Ich kann mich zum Beispiel daran erinnern, dass meine Mutter nach 2015, als Angela Merkel die Grenze für die Geflüchteten öffnete, häufiger angesprochen wurde auf ihre pakistanische Heimat. Sie machte plötzlich wieder negative Erfahrungen im Alltag und hatte das Gefühl, wieder mehr in der Gesellschaft herauszustechen. Als der Rassismus anstieg, wurde ja auch nicht groß gefragt, wer jetzt die Neuen seien und wer schon länger hier sei.

Eine Konkurrenz der Minderheiten?

Cheema: Genau, wenn auch eine gefühlte Konkurrenz, die wenig mit der Realität zu tun hat und etwa der Frage, wie viel Migration Deutschland aushalten kann. Darum ging es dabei gar nicht.

Die AfD hat bei den Wahlen im Osten stark zugelegt. Nicht nur die christlichen Kirchen und Gewerkschaften hatten vor der Partei gewarnt, auch Wirtschaftsvereinigungen sowie jüdische und muslimische Verbände. Wie wirkt das Wahlergebnis auf Sie?

Mendel: Viele haben Angst, einige sagen öffentlich, dass sie auf gepackten Koffern sitzen. Wir sehen das anders. Wir gehen nicht weg aus Deutschland. Wir bleiben – und wir wollen bleiben. Wir dürfen denen das Feld nicht überlassen.

Cheema: Wohin sollten wir auch gehen? Ich bin hier geboren und aufgewachsen. In Pakistan, dem Heimatland meiner Eltern, können wir nicht gemeinsam in Sicherheit leben.

Mendel: Und in Israel würden die Pro­bleme schon damit anfangen, welche Schule unsere Kinder besuchen würden. Es gibt im ganzen Land nur ein halbes Dutzend, die muslimische und jüdische Kinder gemeinsam unterrichten. Wenn unsere Kinder in der Zukunft fragen werden, was damals los war und was sich die Leute dabei gedacht haben, dann möchte ich, dass sie wissen, dass wir nicht resi­gniert haben.

Erleben Sie Ausgrenzung?

Cheema: Wenn ich in Frankfurt unterwegs bin, spüre ich keine Ausgrenzung. Ich habe überhaupt nicht das Gefühl, in der Minderheit zu sein, auch nicht in Köln oder Berlin. Ich bin als politische Beraterin ja viel in der Bundesrepublik unterwegs und komme in die unterschiedlichsten Orte, auch in kleine Städte und Dörfer. Jenseits der großen Metropolen habe ich auch schon schlechte Erfahrungen gemacht, in der Bahn bin ich mal von einem Nazi bedroht worden. Erschreckend war, dass mir niemand im vollen Zug Hilfe angeboten hatte.

Und wie erleben Sie das, Herr Mendel? Sie leben immerhin in einem Land, dessen Antisemitismusbeauftragter den Mitgliedern der jüdischen Gemeinde empfiehlt, religiöse Zeichen nicht sichtbar zu tragen.

Mendel: Ach, wissen Sie, ich fühle mich privilegiert. Wenn ich jeden Abend mit meiner Familie in Israel telefoniere und wir darüber sprechen, wo wieder Raketen eingeschlagen sind und ob es meinen Brüdern gut geht, die die letzte Nacht im Schutzbunker verbracht haben, dann denke ich: Okay, ich werde vielleicht mal angepöbelt oder von einer Veranstaltung wieder ausgeladen, und natürlich gibt es auch hierzulande schlimme Ereignisse wie die Morde von Halle, Hanau oder jetzt Solingen. Aber wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass wir auf einem der sichersten Flecken der Erde leben. Und es tut mir gerade deshalb so leid, dass die apokalyptische Propaganda der AfD so sehr verfängt, die immer behauptet, dass unser Wohlstand und unsere Sicherheit bedroht seien. Deshalb ist es mir wichtig zu sagen, wie sicher ich mich hier fühle und wie gut es uns geht. Auch deshalb finde ich die Rhetorik der gepackten Koffer problematisch: Denn damit sagt man ja auch, niemals richtig hier zu sein, sondern immer schon auf dem Sprung.

Sie waren neulich unterwegs in Thüringen. Viele Nichtweiße sagen inzwischen, dass sie sich dort unwohl fühlen. Würden Sie wieder hinfahren?

Cheema: Ich denke schon. In den sozialen Medien sehe ich aktuell, dass Minderheiten den Osten als „No-go-Area“ deklarieren. Doch damit erfüllt sich nur der Traum von Rechtsextremisten wie Björn Höcke der „national befreiten Zonen“ . . .

Es gibt hierzulande 200.000 Juden und 5,5 Millionen Muslime. Gibt es die Rhetorik der gepackten Koffer auch unter Muslimen?

Cheema: Das ist nicht unbedingt vergleichbar aufgrund der deutschen Geschichte. Wenn Muslime drohen würden, das Land zu verlassen, gäbe es einen Aufschrei? Ich vermute, es gäbe keine große gesellschaftliche Debatte darüber. Dass sich die Mehrheitsgesellschaft nicht für sie interessiert und niemand auf die Barrikaden ginge, wenn sie Rassismus erfahren, das wird schon beklagt. Der scheidende Vorsitzende der muslimischen Gemeinde, Aiman Maz­yek, hat das neulich in einem Tweet so gedreht, dass es niemand interessieren würde, wenn es hieße: Kauft nicht bei Türken ein. Er spielt dabei auf den Bundestagsbeschluss gegen die antiisraelische Boykottbewegung BDS an. Diese Art der Opferkonkurrenz ist falsch. Und es wird oft übersehen, wie viel sich in den letzten zehn Jahren für Muslime hier zum Guten verändert hat.

Jetzt gehen Sie auf Lesetour mit Ihrem Buch. Wird es denn auch in Israel oder Pakistan erscheinen?

Cheema: In Pakistan kann ich mir das nicht vorstellen. Es wäre eine zu große Provokation für die dortige Gesellschaft.

Mendel: Ich würde mich freuen, wenn sich ein israelischer Verlag für das Buch interessieren würde. Doch wir wissen, dass für die Mehrheit in Israel diese Kombination nur schwer verdaulich ist.

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