SPANIENS PREMIER LäSST AMTSGESCHäFTE RUHEN: MISCHUNG AUS WUT, RESIGNATION UND SELBSTMITLEID

Ministerpräsident Pedro Sánchez nimmt sich einige Tage frei und erwägt seinen Rücktritt. In einem emotionalen Schreiben wettert er gegen die "Schlammmaschine" der Rechten und Ultrarechten. Was steckt hinter dem Gefühlsausbruch?

Mischung aus Wut, Resignation und Selbstmitleid

Selbst für politische Insider kam die Nachricht am Mittwochabend überraschend: In einem offenen Brief auf dem Kurznachrichtendienst X und an ausgewählte Mitarbeiter ließ Spaniens Premier Pedro Sánchez wissen, dass er bis Montag eine Auszeit nehmen werde und einen Rücktritt erwäge.

"Mich drängt die Frage, ob es das wert ist, trotz des Schlamms, den die Rechten vorgeben, in Politik zu verwandeln. Ob ich weiter an der Spitze der Regierung stehen oder von dieser hohen Ehre zurücktreten soll", schreibt Sánchez. Der Grund seien "unerträgliche Angriffe" gegen ihn und nun auch seine Familie. Die Rechte und Ultrarechte hätten Grenzen überschritten, indem auch seine Frau Ziel der Attacken sei.

Mit Letzterem bezog er sich auf eine am Mittwochmorgen bekannt gewordene Nachricht, wonach ein Madrider Gericht, angeregt von einer Anzeige der Lobbygruppe "Manos limpias" (Saubere Hände), ein Untersuchungsverfahren gegen Sánchez Ehefrau Begoña Gómez eingeleitet hat. In den vergangenen Wochen waren immer wieder Andeutungen laut geworden, wonach Gómez und ihre Firma während der Pandemie Kontakte zur Fluggesellschaft Air Europa gepflegt hätten.

"Manos Limpias" ist eine private Lobbygruppe, die in Spanien seit Jahren linke Funktionsträger attackiert. Sie wirft Gómez, 49, vor, ihre Position als Ehefrau des Regierungschefs ausgenutzt zu haben, um Geschäfte zu machen. Das Gericht machte keine weiteren Angaben und erklärte, dass die Untersuchung unter Verschluss sei.

Das seien durchwegs falsche und haltlose Anschuldigungen, erklärten mehrere Ministerinnen, Minister und Funktionäre der sozialistischen Partei am Mittwoch übereinstimmend und mit Verve. Sánchez selbst hatte am Mittwochmorgen im Parlament noch bedächtig reagiert: "An einem Tag wie heute und nach den Nachrichten, die mir bekannt wurden, trotz alldem glaube ich weiter an die Justiz in meinem Land", beteuerte er. Unmittelbar nach der Debatte zog er sich jedoch in seinen Regierungssitz im Nordosten Madrids zurück, um sich mit seiner Familie zu beraten.

Zeilen mit einer Mischung aus Wut, Resignation und Selbstmitleid

Dabei entstand wohl der am Abend veröffentlichte Brief. Darin spricht er von einer monatelangen Strategie der Bedrohung von rechts. Den Begriff "rechts und ultrarechts" verwendet er in dem dreieinhalb seitigen Schreiben 14 Mal. Ton und Inhalt des Schreibens lesen sich wie eine Mischung aus Wutausbruch, Resignation und Selbstmitleid.

Es sind persönliche und menschliche Zeilen, ungeschliffen und teils in umgangssprachlichem Ton gehalten. Alles spricht dafür, dass das Schreiben nicht das in der Politik übliche Redigat von Redenschreibern und Pressestellen durchlaufen hat. Auch der Zeitpunkt spricht für eine spontane Aktion, denn in diesen Tagen beginnt der Wahlkampf für die Parlamentswahlen in Katalonien. Sánchez müsste dort seine Partei unterstützen.

Das wirft Fragen auf. Zeigt hier ein ansonsten zutiefst strategisch denkender Politiker plötzlich ungefilterte Emotionen? Warum schreibt er diesen Brief vor der Bedenkzeit, die er darin ankündigt, statt andersherum? Hat er womöglich doch bereits eine Entscheidung getroffen? Oder ganz andere, private Gründe?

Die Spekulationen in Spaniens Politsphäre gehen in verschiedenste Richtungen, nichts basiert auf echten Erkenntnissen. "Alles sehr seltsam, nichts davon scheint viel Sinn zu ergeben", kommentiert ein bekannter Politologe. Sicher ist, dass Pedro Sánchez seit der Parlamentswahl im vergangenen Sommer mit einer denkbar schwierigen Sitzverteilung im Kongress zu kämpfen hat, und einer nicht enden wollenden Flut an Brandherden und Konflikten.

Die parlamentarische Mehrheit aus sieben Parteien, die den Sozialisten im Herbst als Regierungschef bestätigte, war teuer erkauft, und ist zudem fragil. Manche Gegenleistungen an die vielen Koalitionspartner seines "progressiven Bündnisses" sind zum Teil noch immer nicht erbracht - allem voran das Amnestiegesetz für den katalanischen Separatisten Carles Puigdemont und dessen Mitstreiter.

Sánchez hat immer wieder Stehvermögen bewiesen

Eine wichtige Parlamentsabstimmung im Januar hatte Puigdemonts Partei fast in letzter Minute platzen lassen. Hinzu kommt das Dauerfeuer der Opposition, die nicht müde wird, Sánchez bei jeder sich bietenden Gelegenheit anzugreifen. In all diesen Krisen und Gegenwind zeigte Sánchez enormes Stehvermögen - so wie in schwierigen Situationen vergangener Jahre. Die resistencia bescheinigen ihm auch Gegner, zu denen sein eigener Parteikollege und Vorvorgänger Felipe González gehört, Spaniens Premier von 1982 bis 1996.

Nach außen souverän, durchaus gewürzt mit einer Portion Arroganz, schien Sánchez in der Vergangenheit jeglichen Unbill von sich abperlen zu lassen - ein Machtmensch der eleganten Sorte, der auch gut austeilen kann. Doch nun ist die gewohnte Souveränität von ihm abgeplatzt. Über den Grund dafür spekuliert seit gestern Nacht ganz Spanien.

Sollte Sánchez Neuwahlen ausrufen, was derzeit nur eines von mehreren möglichen Szenarien ist, müsste er bis noch einen Monat warten. Nach spanischem Wahlrecht ist das erst vom 29. Mai an möglich. Nachdem die Auflösung des Parlaments unterzeichnet ist, müssen zudem 54 Tage bis zu den darauffolgenden Wahlen vergehen. Der erste mögliche Wahltag wäre somit der 21. Juli. Fast genau ein Jahr nach den Wahlen des vergangenen Jahres.

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