NORDKOREA: SICHTSCHUTZ VON PUTINS GNADEN

Das Regime von Machthaber Kim Jong-un will sein Atomwaffen-Arsenal weiter aufrüsten. Dabei kommt ihm ein Veto Russlands entgegen, das in der westlichen Welt Ärger und Sorgen weckt.

Sichtschutz von Putins Gnaden

Was Nordkoreas Machthaber Kim Jong-un macht, erfährt man meistens erst einen Tag später. Über die Staatsmedien nämlich, die in treuer Ergebenheit immer genau das vermelden, was das Regime vermeldet haben möchte. Am Dienstag zum Beispiel berichtete die Arbeiterpartei-Zeitung Rodong Sinmun, dass Kim am Montag eine Militärübung der besonderen Art geleitet habe: Ziel sei dabei gewesen, das Szenario einer "nuklearen Gegenoffensive" gegen Südkorea und die USA durchzuspielen. Eine Salve mit vier 600-Millimeter-Raketen habe man mithilfe des "nationalen Kontrollsystems für Atomwaffen" abgefeuert.

Rodong Sinmun erklärte auch, warum der Test nötig war: Jüngste amerikanisch-südkoreanische Luftwaffenübungen hätten "ein extremes Kriegsfieber" entfacht. Die nukleare Aufrüstung müsse weitergehen. Die Demokratische Volksrepublik Korea, wie Nordkorea offiziell heißt, werde durch "die unaufhörlichen militärischen Provokationen der feindlichen Kräfte, die die DVRK mit Gewalt unterdrücken wollen, ernsthaft bedroht".

Das Mandat der Beobachter endet am 30. April

Die andere Hälfte der Wahrheit lautet, dass sich die freiheitlichen Nachbarn Japan und Südkorea sowie deren großer Partner USA ernsthaft bedroht fühlen von Nordkoreas andauernden Waffentests. Zumal diese Tests nach Resolutionen des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen (UN) illegal sind. Darüber berichten Nordkoreas Staatsmedien natürlich nicht. Sie sind Werkzeuge des Verschleierns und Umdeutens. Und demnächst gibt es eine Institution weniger, die Nordkoreas Selbstbeschreibungen als Ablenkung von einem rücksichtslosen System entlarvt. Denn nächste Woche, am 30. April genau, endet das Mandat jenes Expertengremiums, das seit 2006 die UN-Sanktionen gegen Nordkoreas Parteidiktatur überwacht.

Das zumindest vorläufige Ende des Beobachtergremiums passt nicht in diese Zeit, in der Nordkorea ungerührt weitermacht mit seiner Atomwaffenentwicklung. Allerdings passt es zur Lage der Weltpolitik, in der Russland immer konsequenter seine eigenen Interessen durchzieht. Denn nur Russland hat Nordkorea es zu verdanken, dass die UN demnächst nicht mehr so genau hinschauen kann, wenn der Verdacht besteht, dass das Kim-Regime gegen Sanktionen verstößt. Ende März stimmte der UN-Sicherheitsrat wie jedes Jahr über die Verlängerung des Expertengremiums ab. Bei einer Enthaltung Chinas stimmten 13 Mitgliedsstaaten für die entsprechende Resolution. Nur Russland war dagegen. Und weil Russland zu den fünf ständigen Ratsmitgliedern zählt, blockiert sein Veto die Verlängerung.

Warum dieses Nein im Namen des Präsidenten Wladimir Putin? Russlands UN-Botschafter Wassili Nebensja erklärte, der Westen versuche Nordkorea zu "strangulieren". Aber wenn man den jüngsten und nun wohl letzten Bericht des sogenannten Panels of Experts (POE) liest, drängt sich ein anderer Verdacht auf.

Das "internationale Rampenlicht" war Russland zu hell geworden

615 Seiten umfasst der Report, der im März herauskam. Er dokumentiert Waffentests, Strategien, Sanktionsverletzungen. Laut POE hatte Nordkorea schon im September 2023 die von der UN verhängte Import-Obergrenze von 500 000 Tonnen Erdöl um das Zwei- oder Dreifache überschritten. Auch mit Cyberangriffen bessert das Regime mutmaßlich seine Finanzen auf. Allein 2023 untersuchte das Panel 17 Diebstähle von Kryptowährungen, die Nordkorea 750 Millionen Dollar, knapp 704 Millionen Euro, gebracht haben könnten.

Und Russland kommt in dem Report nicht nur als Freund vor, der mit China internationale Beschwerden gegen nordkoreanische Erdöleinfuhren abblockte. Man findet darin auch Informationen über eine verdächtige Fahrt des bekannten Munitionstransportschiffs MV Angara zwischen Nordkorea und Russland. Moskau bestreitet Waffenlieferungen aus Nordkorea, aber Berichte über mutmaßliche Sanktionsverletzungen von derart historischem Ausmaß stören Putins Regierung wohl doch. "Selbst ein Regime, das so immun gegen Peinlichkeiten ist wie das von Putin, würde es wahrscheinlich vorziehen, dieses besondere internationale Rampenlicht zu verdunkeln", schreibt der amerikanische Ex-Diplomat Joseph DeThomas im Fachportal 38 North.

Robert Wood, der stellvertretende UN-Gesandte der USA, wurde gleich nach dem Veto deutlicher. Russland versuche, die "unabhängigen, objektiven Untersuchungen" des UN-Gremiums auszuschalten, weil dieses begonnen habe, "über Russlands eklatante Verstöße gegen die Resolutionen zu berichten". Die USA wollen sich nicht so einfach abfinden mit dem Ende der Nordkorea-Kontrolle. Washingtons UN-Botschafterin Linda Thomas-Greenfield sagte vergangene Woche, Südkorea, Japan und andere Partner würden "sowohl innerhalb als auch außerhalb der UN" nach Wegen suchen, die Überwachung der Sanktionen fortzuführen, denn: "Wir können nicht zulassen, dass die Arbeit des Expertengremiums zunichtegemacht wird."

Aber größer noch als der Ärger ist die Sorge. Die Zustimmung zur Kontrolle der Sanktionen gegen Nordkorea war immer auch ein Symbol für den breiten Konsens der Nationen gegen die weitere Ausbreitung von Atomwaffen. Diesen Konsens scheint es nicht mehr zu geben.

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