„MAN KANN GEGEN KLARE ERWARTUNGSHALTUNG DER BEVöLKERUNG KEINE REGIERUNGSPOLITIK MACHEN“

Für Dietmar Woidke geht es bei der Brandenburg-Wahl auch um seine politische Zukunft: Sollte die AfD besser als seine SPD abschneiden, wird er nicht erneut als Ministerpräsident kandidieren. Die Migration sei das zentrale Thema – da erwarte er auch von den Grünen eine „pragmatischere Haltung“.

Dietmar Woidke, 62, ist seit 2013 Ministerpräsident von Brandenburg. Eine deutliche Mehrheit der Einwohner möchte laut Umfragen, dass der Sozialdemokrat nach der Landtagswahl am Sonntag im Amt bleibt. Trotzdem liegt die AfD derzeit vorn.

WELT: Herr Woidke, Sie haben angekündigt, nicht noch einmal als Ministerpräsident anzutreten, sollte die AfD bei der Wahl in Brandenburg auf Platz eins landen. Bleiben Sie dabei?

Dietmar Woidke: Ja, ich bleibe dabei. Es geht bei dieser Wahl darum, wer Brandenburg in Zukunft führt. Ich stehe vor der größten politischen Herausforderung meines Lebens. Ich kämpfe um jede Stimme, um diese Landtagswahl zu gewinnen. Nach elf Jahren Arbeit im Amt des Ministerpräsidenten ist das natürlich auch eine Abstimmung über meine Person. Wenn diesem Land Schaden widerfährt, trage ich die Verantwortung dafür. Und ein Wahlsieg der AfD wäre ein riesiger Schaden für unser Land. Die Brandenburg-SPD ist die einzige politische Kraft, die einen Wahlsieg der AfD verhindern kann.

WELT: Ist es angesichts der gewaltigen Verschiebungen, die im Parteiensystem durch das Erstarken von AfD und dem Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) zu erwarten sind, nicht erst recht geboten, sich möglichst viele Optionen offenzuhalten, anstatt sie zu verkleinern?

Woidke: Nein. Es geht vor allem um politische Stabilität für Brandenburg. Für viele Menschen war das jahrzehntelang eine Selbstverständlichkeit, nicht nur in Brandenburg. Wir sind immer erfolgreicher geworden und haben heute die höchsten Nettoeinkommen in Ostdeutschland. Wir müssen den Menschen deutlich machen, dass politische Stabilität die Basis für die wirtschaftliche und soziale Entwicklung unseres Landes ist.

WELT: Die AfD ist in Brandenburg der größte Konkurrent der SPD. Schon bei der vorigen Wahl war der Vorsprung der Sozialdemokraten zur in Teilen rechtsextremen AfD nur marginal, jetzt liefern Sie sich bei Werten um die 26 Prozent ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Was hat die SPD falsch gemacht, dass so viele Menschen die AfD für die bessere Alternative halten?

Woidke: Wir beobachten weltweit ein Erstarken des Rechtspopulismus und Rechtsextremismus. In den Niederlanden, in Schweden oder in den USA, überall geraten demokratische Systeme zunehmend unter Druck, und Rechtspopulisten gewinnen an Zulauf.

WELT: Die globale Entwicklung sagt aber nichts über den Zustand Ihrer Partei aus. Wo liegen die Defizite der SPD, welche die AfD nach Ansicht vieler Bürger offenbar ausgleicht?

Woidke: Da muss man gar nicht nur auf die SPD gucken. Es geht um Defizite in der gesamten deutschen Politik der vergangenen Jahrzehnte. Das zentrale Thema ist die Migration. Alle demokratischen Parteien im Deutschen Bundestag tragen da eine Mitverantwortung. Wir haben in den letzten zehn Jahren im Bereich der Migration zugelassen, dass viele Regeln europaweit außer Kraft gesetzt worden sind. Viele Menschen haben die Sorge, dass der Staat keine Kontrolle mehr über die Migration hat. Der Druck ist größer geworden, weil auch viele Staaten in Europa ihre Migrations- und Asylpolitik deutlich verändert haben. Deutschland muss reagieren.

WELT: Die Forderung von CDU/CSU, Asylsuchende an den Grenzen umfassend zurückzuweisen, lehnt die Bundesregierung jedoch ab. Finden Sie das richtig?

Woidke: Ich finde es nicht richtig, dass CDU-Chef Friedrich Merz ein Ultimatum gesetzt hat und Unionsvertreter nach zwei Stunden des gemeinsamen Gesprächs mit der Ampel rausgerannt sind, weil sie nicht zu 100 Prozent das bekamen, was sie wollten. Ich glaube, man muss über alle Dinge in Ruhe reden. Es ist ja nicht die Opposition, die am Ende die Verantwortung trägt. Es muss alles rechtlich machbar sein. Man kann sich nicht auf eine Regelung einlassen, die ein halbes Jahr später wieder vom Europäischen Gerichtshof gekippt wird. Ein bisschen mehr Demut von CDU und CSU wäre hier angebracht.

WELT: Die Grünen, neben der CDU Ihr zweiter Koalitionspartner, sind 2019 mit mehr als zehn Prozent in den Brandenburger Landtag eingezogen. Nun ist es fraglich, ob sie die Fünf-Prozent-Hürde überspringen werden. Haben Sie Mitleid?

Woidke: Wir haben hier in Potsdam in der Koalition mit Bündnis 90/Grüne und der CDU in den letzten fünf Jahren sehr gut zusammengearbeitet – im Gegensatz zur Ampel-Regierung in Berlin auch geräuschlos. Bei uns wurde intern gestritten, manchmal wie die Kesselflicker, aber extern haben wir es fast immer geschafft, einheitlich zu agieren. Dafür bin ich dankbar.

WELT: Sind die Grünen an ihrem Absturz also selbst schuld?

Woidke: Das müssen die Grünen für sich klären. Ich hätte gerade beim Thema Migration eine pragmatischere Haltung erwartet, auch hier in Brandenburg. Man kann gegen eine klare Erwartungshaltung der Bevölkerung keine Regierungspolitik machen. Und die Erwartung ist klar: Begrenzung der irregulären Einwanderung, Ordnung und Kontrolle in der Migrationspolitik.

WELT: Wenn die Grünen es also nicht schaffen, ist dann eine Zusammenarbeit mit dem BSW für eine künftige Koalition unausweichlich?

Woidke: Gedanken über Koalitionen mache ich mir nach der Landtagswahl, die ich gewinnen will. Am Sonntagabend werden wir sehen, wer überhaupt im Landtag vertreten ist. Dann geht es nicht nur um die Parteien, sondern auch um die Personen, mit denen man über fünf Jahre zusammenarbeiten will.

WELT: In Thüringen und Sachsen führen Christdemokraten Gespräche mit dem BSW. Was erzählt Ihnen denn Ihr sächsischer Amtskollege Michael Kretschmer über diese Begegnungen?

Woidke: Mit Michael Kretschmer habe ich letzte Woche gesprochen. Eines ist klar: Man kann nicht in den Koalitionsvertrag auf Landesebene etwas hineinschreiben, was man gar nicht regeln kann.

WELT: Sie meinen Sahra Wagenknechts Forderung nach einem Ende der militärischen Unterstützung der Ukraine?

Woidke: Ja. Über Außen- und Verteidigungspolitik wird in Berlin, nicht in Potsdam oder Dresden entschieden. Wer etwas anderes sagt, betreibt Populismus.

WELT: Wagenknecht trifft mit ihrem Thema aber einen Nerv, oder?

Woidke: Die Frage von Krieg und Frieden ist für die Menschen im Land ein wichtiges Thema. Aber mit Landespolitik hat es nicht ansatzweise etwas zu tun. Putin hat den Krieg angefangen, und nur er kann ihn beenden. Er hat aber deutlich gemacht, dass er an Verhandlungen nicht interessiert ist. Das muss man den Menschen im Land auch klar sagen.

WELT: Sie wollten im Wahlkampf keine gemeinsamen Auftritte mit Bundeskanzler Olaf Scholz. Sind Sie der Ansicht, er schade der SPD?

Woidke: Ich mache es genauso, wie es Scholz bei seiner Kandidatur als Erster Bürgermeister von Hamburg in seiner eigenen Wahlkampagne gemacht hat. Er hat damals auch weitgehend auf Bundesprominenz verzichtet. Es geht hier um Brandenburg.

WELT: Seit 1990 wird das Land Brandenburg durchgehend von der SPD regiert, die stets den Ministerpräsidenten gestellt hat. Was passiert, wenn die Sozialdemokraten am kommenden Sonntag auch noch ihre letzte Hochburg verlieren? Müssten dann auch bundespolitisch personelle Konsequenzen gezogen werden?

Woidke: Nein, ich rechne nicht damit, dass Herr Merz bei einem schlechten Wahlergebnis der Brandenburger CDU zurücktritt. Genauso wenig rechne ich mit anderen bundespolitischen Konsequenzen.

Politikredakteurin Hannah Bethke ist bei WELT zuständig für die SPD und innenpolitische Themen.

Politikredakteur Claus Christian Malzahn ist zuständig für die Berichterstattung über die Grünen. Zudem reportiert er aus den ostdeutschen Bundesländern.

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