JETZT WIRD IN DER CDU EINE ZUSAMMENARBEIT MIT DER LINKEN VORBEREITET

Die CDU darf per Beschluss nicht mit der Linken zusammenarbeiten. Aber in Thüringen laufen Gedankenspiele, die Partei von Fall zu Fall einzubinden. Ob die CDU dann mithilfe der Linken tatsächlich Mario Voigt zum Regierungschef machen kann, zeigt sich nächste Woche. Dann kommt es zum Testfall.

Brombeeren verändern je nach Reifegrad ihre Farbe von grün über rosa und rot bis zu lila und schwarz. Das hatte den Parteienforscher Karl-Rudolf Korte offensichtlich dazu inspiriert, mit Blick auf die Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen Regierungsbündnisse von CDU, dem Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) und der SPD als Brombeer-Koalitionen zu bezeichnen. Weil sich – von grün abgesehen – dabei die Farben aller Parteien wiederfinden. Der Name hat sich schnell etabliert. Thüringen steuert nun auf eine solche Koalition zu, ein Novum in der deutschen Politik.

Zwei Gespräche zwischen CDU-Landeschef und Spitzenkandidat Mario Voigt mit Sahra Wagenknecht hat es bereits gegeben. Die seien „konstruktiv und freundlich“ gewesen, heißt es aus Verhandlungskreisen. Wer das Naturell der beiden kennt, weiß, dass das nicht selbstverständlich ist. Offenbar haben Voigt und Wagenknecht, die ehemalige Linke-Politikerin und langjährige Sprecherin der Kommunistischen Plattform, mehr Gemeinsamkeiten als Differenzen festgestellt.

In der CDU heißt es, dass die SPD, die womöglich Dritte im Bunde, das BSW bisweilen kritischer sehe als die Thüringer Christdemokraten dies tun. In den kommenden Tagen sollen nun „thematische Eckpfeiler“ gesetzt werden, um anschließend formelle Sondierungsgespräche aufzunehmen.

Eine stabile Regierung „aus der politischen Mitte“ will Voigt bilden, aber selbst wenn ein Bündnis mit BSW und SPD gelänge, werden die Parteien an den politischen Rändern, AfD wie Linke, massiven Einfluss auf die Politik im Freistaat nehmen können. Eine stabile Regierung wird es ohne eine wie auch immer geartete Zusammenarbeit mit der Linken nicht geben. Obwohl genau das der Unvereinbarkeitsbeschluss der CDU untersagt.

Das Problem ist, dass auch eine Brombeer-Koalition keine Mehrheit im Landtag hätte, die drei Parteien kommen auf 44 von 88 Mandaten. Voigts geplantes Regierungsbündnis wäre also eine Patt-Koalition. Überstimmt werden wie die noch amtierende Regierung von Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) könnte das Brombeer-Bündnis zwar nicht, aber Blockaden sind nur zu verhindern, wenn die Linke mitspielt. Und keinesfalls mit der AfD stimmt. Was Beobachter zwar grundsätzlich nicht für wahrscheinlich halten, aber die Linke wird einen politischen Preis fordern, wenn sie Voigts Bündnis zu Mehrheiten verhilft.

Die AfD wiederum verfügt als stärkste Fraktion mit einem Ergebnis von 32,8 Prozent bei der Landtagswahl vor gut zwei Wochen auch dann über nicht unerhebliche Einflussmöglichkeiten, wenn sich die übrigen Parteien im Landtag gegen sie zusammentun. Wie groß die sind und wie stabil die politischen Verhältnisse in Thüringen, wird sich bereits am Donnerstag der nächsten Woche zeigen.

An diesem Tag kommt der Landtag zu seiner konstituierenden Sitzung nach dem Wahlsonntag zusammen. Wichtigster Tagesordnungspunkt ist die Wahl des Landtagspräsidenten. Der leitet die Sitzungen, seine Rolle und Auffassung des Amts kann bei der Wahl des Ministerpräsidenten entscheidend sein. Doch bevor es darum geht und um die Kür des Landtagspräsidenten, rückt der Alterspräsident des Landtags in Erfurt in den Fokus.

Der leitet die konstituierende Sitzung des Parlaments und damit die Wahl des Landtagspräsidenten. Und anders als dieser ist dabei ein AfD-Mann nicht zu verhindern. Alterspräsident, und das ist nicht verhandelbar, wird in Thüringen der nach Lebensjahren älteste Abgeordnete. Und der ist nach der jüngsten Landtagswahl der 73-jährige AfD-Politiker Jürgen Treutler, der im Wahlkreis Sonneberg das Direktmandat gewonnen hat. Er wird die erste Sitzung des neuen Landtags leiten, sofern er nicht ablehnt – und hat damit unmittelbar Einfluss auf die Wahl des Landtagspräsidenten.

Niemand will den AfD-Kandidaten wählen

Der wurde in der Vergangenheit stets von der stärksten Fraktion vorgeschlagen. Diesmal ist klar, dass CDU, BSW, SPD und Linke gegen einen AfD-Kandidaten stimmen würden, was die AfD als Regelbruch wertet. Doch die CDU sieht das Vorschlagsrecht bei sich und will den Posten mit einem Christdemokraten besetzen. Das Ringen ist nachvollziehbar, der Landtagspräsident leitet die Sitzungen des Parlaments, er entscheidet über die Tagesordnung, Anträge, Abstimmungen – er hat also maßgeblichen Einfluss auf die Abläufe im Landtag.

Die AfD beharrt darauf, den Landtagspräsidenten zu stellen, die CDU hält dem entgegen, dass sich aus der bislang geübten Praxis eines Vorschlagsrechts der stärksten Fraktion kein verfassungs- und parlamentsrechtlicher Anspruch ergebe. Ein solcher lasse sich aus der Geschäftsordnung des Landtags nicht ableiten. Beide Positionen, die der AfD wie der CDU, sind umstritten. In der Geschäftsordnung des Landtags ist zwar geregelt, dass neue Bewerber vorgeschlagen werden können, wenn ein Kandidat nicht gewählt wurde (Paragraf 2, Absatz 2). Aber das Verfahren dafür und ob zum Beispiel die zweitstärkste Fraktion nach der AfD zum Zug kommt, ist nicht im Detail festgelegt.

Es kommt also darauf an, wie der Alterspräsident die erste Sitzung und die Wahl des Landtagspräsidenten leitet, „inwieweit er Chaos stiften will und destruktiv vorgeht“, wie es in CDU-Kreisen heißt. Der Alterspräsident könnte etwa der AfD immer wieder das Vorschlagsrecht gewähren. Oder Vorschläge anderer Parteien nicht zulassen. Theoretisch wäre das möglich. Wenn die AfD anschließend jeweils neue, erfolglose Kandidaten für den Landtagspräsidenten-Posten vorschlägt, wäre eine Hängepartie das Ergebnis. Zum Beispiel durch gegenseitige Klagen. Die Arbeit des Landtags wäre damit auf Wochen oder Monate blockiert.

Dieses Szenario könnte umgangen werden, wenn eine Mehrheit aller Abgeordneten dem Kandidaten der AfD einen eigenen Personalvorschlag entgegenhält. Das erlaubt die Geschäftsordnung in Ausnahmefällen. Dafür wären aber 45 Stimmen nötig, das heißt, die Brombeer-Allianz bräuchte dafür Zustimmung aus den Reihen der Linken. Die Frage ist nun, wie der Alterspräsident des Landtags darauf reagieren würde, dass sich die übrigen Parteien auf diese Einzelfallmöglichkeit der Geschäftsordnung beziehen.

Die Christdemokraten sind optimistisch, trotz möglicher Turbulenzen einen Landtagspräsidenten ihrer Wahl durchsetzen zu können – einen Christdemokraten. Verhandlungsmasse in den Gesprächen mit anderen Parteien sei das Amt nicht, heißt es. Man werde auch der Linken, beispielsweise dem noch amtierenden Ministerpräsidenten Bodo Ramelow, keine Avancen machen, im Gegenzug für eine – nicht festgeschriebene – Kooperation. Dafür habe die Linke mit einem Verlust von knapp 18 Prozentpunkten der Stimmen bei der Landtagswahl einen zu großen Dämpfer erhalten. Und dafür sei das Amt zu wichtig.

Denn die Rolle des Landtagspräsidenten wird auch bei der Wahl des Ministerpräsidenten entscheidend sein. Der AfD-Kandidat wird am Ende nur dann nicht gewählt, wenn alle übrigen Parteien dagegen stimmen. Auch hier braucht Voigt am Ende wieder die Linke. Die Frage, ob es im dritten und letzten Wahlgang reicht, sich gegen einen AfD-Kandidaten auszusprechen, um ihn zu verhindern – oder ob die Abgeordneten mehrheitlich für einen anderen Kandidaten stimmen müssen, ist wiederum umstritten. Es wird bei dieser Sitzung viel davon abhängen, wie sie der Landtagspräsident moderiert.

Politikredakteur Nikolaus Doll ist bei WELT zuständig für die Berichterstattung über die Union.

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