INSIDER BERICHTEN - KOPFTUCH, FASTEN, KONVERTIEREN? WAS AN DEUTSCHEN SCHULEN WIRKLICH PASSIERT

Immer mehr Schüler an deutschen Schulen konvertieren aus Angst zum Islam? FOCUS Online hat Experten befragt, um zu erfahren, welche Entwicklungen sie beobachten und welche aktuellen Probleme besonders akut sind.

Es sind Aussagen, die viele Eltern beunruhigen dürften: „Es wenden sich immer mehr Eltern deutscher Kinder an Beratungsstellen, weil die christlichen Kinder konvertieren wollen, um in der Schule keine Außenseiter mehr zu sein“, schlägt „ein Staatsschützer“ in der „Bild“-Zeitung Alarm . Oder: „Meist treten die männlichen muslimischen Schüler auch sehr drohend und teilweise gewalttätig auf. Da entstehen regelrechte Parallelgesellschaften auf den Schulhöfen“, so der Beamte weiter.

Studie: Mehrheit der muslimischen Schüler ist der Koran wichtiger als deutsches Recht

Zum Hintergrund: Aus einer Befragung niedersächsischer Schülerinnen und Schüler durch das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen (KFN) geht hervor, dass eine Mehrheit (rund 68 Prozent) der 786 befragten Schülerinnen und Schüler muslimischen Glaubens sagt: „Die Regeln des Korans sind mir wichtiger als die Gesetze in Deutschland.“

Rund 52 Prozent sind überzeugt, dass „nur der Islam in der Lage ist, die Probleme unserer Zeit zu lösen“ und rund 18 Prozent halten Gewalt zur Durchsetzung des Islam für gerechtfertigt.

„Die Auswertungen für Islamistische Einstellungen können nicht als repräsentativ für muslimische Schüler und Schülerinen in Niedersachsen gesehen werden“, schreiben die Studienautoren zur Einordnung. Dennoch gehören die Probleme an deutschen Schulen zum Schulalltag von Lehrern, Eltern und Schülern. FOCUS online hat Experten gefragt, wie sie die aktuelle Situation an unseren Schulen einschätzen. Konvertieren Schüler und Jugendliche aus Angst zum Islam? Und wo liegen die drängendsten Probleme?

„Einige werden Opfer von Gewalt, manche konvertieren zum Islam“

Ahmad Mansour, Islam-Experte und Psychologe, bestätig gegenüber FOCUS online zwar, dass solche Fälle vereinzelt auftreten. Jedoch sei das keinesfalls überall zu beobachten.

„Viele muslimische Schüler sind zu einem wesentlichen Teil dieser Gesellschaft geworden und stehen in keiner Verbindung zu den beschriebenen Phänomenen“, sagt der Experte. Allerdings gebe es an einigen Schulen, insbesondere dort, wo der Anteil muslimischer Schüler über 80 Prozent beträgt, auffällige Probleme.

„Konflikte beginnen häufig mit Mobbing gegen Schüler, die sich einem anderen Wertekanon zugehörig fühlen“, ordnet Mansour ein. Themen wie Selbstbestimmung, Kleidungswahl und Religion können zu Abwertung und Mobbing führen.

Betroffen seien nicht nur deutsche Schüler ohne Migrationshintergrund, sondern auch alevitische Schüler, liberale Muslime und Juden. „Einige dieser Schüler werden sogar Opfer von Gewalt. Andere passen ihr Verhalten an, und manche konvertieren zum Islam, um den Schulalltag leichter zu meistern“, erklärt Mansour.

Es sei alarmierend und beschämend, dass Schulleitungen und Lehrkräfte diese Vorfälle teilweise nicht wahrnehmen, sie ignorieren oder unsicher sind, wie damit umzugehen ist, warnt der Islam-Experte. „Schulen müssen Orte sein, an denen sich alle Schüler unabhängig von ihrem religiösen oder kulturellen Hintergrund wohl und vor allem sicher fühlen können.“

Islam-Konversion an deutschen Schulen: „Solche Fälle sind uns nicht bekannt“

Stefan Düll, Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, kann ebenfalls nicht bestätigen, dass Schülerinnen und Schüler in Deutschland im großen Stil aus Angst zum Islam konvertieren. „Solche Fälle sind uns nicht bekannt, uns liegen keine entsprechenden Berichte aus unseren Verbänden vor“, sagt Düll auf Nachfrage zu FOCUS online.

Probleme sieht aber auch er: „Teilweise gibt es welche in Bezug auf Teilnahme am Sexualkundeunterricht, an Klassenfahrten oder Schwimmunterricht.“ In diesen Fällen werde das Gespräch mit dem Elternhaus gesucht, um durch Kommunikation eine Lösung zu finden, die allen Kindern und Jugendlichen möglichst viel Teilhabe ermöglicht, so der Lehrerpräsident. „Diese Problematiken können genauso im Bereich von zum Beispiel christlich-fundamentalistischen Elternhäusern auftreten.“

Vereinzelt, ordnet Düll weiter ein, gebe es Berichte, dass innerhalb von muslimisch geprägten Schülergruppen ein gewisser Druck entsteht, sich gegebenenfalls strenggläubiger zu verhalten. Das könne durch Druck, ein Kopftuch zu tragen, geschehen oder sich in einem gewissen Wettbewerb beim Fasten ausdrücken.

Entstehen solche Drucksituationen innerhalb von Schülergruppen, reagieren Schulen wie in jeder Konflikt-, Druck- oder Mobbingsituation, zunächst niedrigschwellig und versuchen die Situationen pädagogisch durch Kommunikation zu lösen, wehrt sich Düll gegen den Vorwurf, Lehrer und Schulen seien angesichts der Lage überfordert.

„Hilfreich ist dabei, wenn die Schulen ausreichend mit Personal im Bereich Schulsozialarbeit und Schulpsychologie ausgestattet sind und es Strukturen, Mittel und Personal für langfristige Präventionsprogramme gegen Mobbing gibt“, sagt Düll.

Bei Schülern besteht ein „Interesse an Religion“

Mittlerweile dürften über eine Million Schülerinnen und Schüler in Deutschland muslimischen Glaubens sein. Das geht aus Angaben der Kultusministerien hervor. Doch die Zahlen liegen nur für sieben Bundesländer vor, die Gesamtzahl dürfte also höher liegen.

In Nordrhein-Westfalen etwa seien 470.000 Schülerinnen und Schüler muslimischen Glaubens, schreibt der „Mediendienst Integration“. Das sind rund 19 Prozent aller Schulkinder.

Einen ebenfalls hohen Anteil an Schülern mit Migrationshintergrund verzeichnet die Rütli-Schule im Berliner Stadtteil Neukölln. Lange Zeit galt sie als Beispiel für gescheiterte Integration. Mittlerweile ist sie für ihre erfolgreiche Integration von Schülern mit Migrationshintergrund bundesweit bekannt.

Clara Debour ist Lehrerin an der Rütli-Schule. Auch sie sagt im Gespräch mit FOCUS online, dass sie in ihrem direkten Umfeld und an ihrer Schule keinen Trend zum Übertritt zum Islam feststellen könne.

Sie sagt: „Es gibt sicherlich Einzelfälle von Konversionen, aber im Allgemeinen scheint es mir ein normaler Prozess zu sein, dass Menschen sich für eine bestimmte Religion entscheiden.“

Allgemein stelle sie aber fest, dass es ein Interesse an Religion gebe. „Zum Beispiel werden nicht-muslimische Kinder zum Zuckerfest eingeladen, aber das ist vergleichbar mit Einladungen zu Weihnachtsfeiern, unabhängig von der Religionszugehörigkeit“, so die Lehrerin.

„Bei Mädchen kommt es vor, dass sie nicht aus Angst, sondern aus Liebe konvertieren“

Carsten Stahl ist Experte für Gewalt- und Mobbingprävention und besucht regelmäßig Schulen. Er bestätigt, dass sich insbesondere an Schulen mit hohem Migrationsanteil eine Gruppendynamik entwickeln kann, „die dazu führt, dass Schüler sich anpassen, um nicht ausgegrenzt oder benachteiligt zu werden.“

„Wenn Kinder unterschiedlicher Religionen oder Herkunft das Gefühl haben, schlechter behandelt zu werden, kann es passieren, dass sie sich aus Angst oder unter dem Einfluss ihrer Umgebung anpassen“, sagt Stahl zu FOCUS online. Einige mögen sogar ihre Religion wechseln, um akzeptiert zu werden oder nicht mehr als Opfer gesehen zu werden.

Ihm persönlich sei das jedoch im Rahmen seiner Arbeit noch nicht direkt begegnet. Gehört habe er davon schon mal: „Bei Mädchen kommt es vor, dass sie nicht aus Angst, sondern aus Liebe konvertieren“, sagt er.

Was aus seiner Sicht viel schwerer wiegt: „Kinder, die bereit sind, Gewalt anzuwenden, um dazuzugehören oder akzeptiert zu werden, zeigen, dass der Gruppendruck groß ist und sie sich aus ihrer Opferrolle befreien möchten.“

Die Einflüsse der Gruppe können manchmal so stark sein, dass Schülerinnen und Schüler bereit seien, ihre Überzeugungen anzupassen, insbesondere dann, wenn sie von vielen umgeben sind, die ähnliche Einstellungen teilen.

Stahls Beobachtung ist: „An Schulen mit hohem Migrationshintergrund treten oft Herausforderungen auf, wie Gewalt, die sowohl von Migranten ausgehen als auch gegen sie gerichtet sein kann.“ Viel wichtiger sei es zu erkennen, dass nicht nur der Migrationshintergrund eine Rolle spielt, sondern auch andere Faktoren zu Gewalt beitragen können. Diese Probleme wahrzunehmen und nicht schönzureden oder gar zu verschweigen, muss oberste Priorität haben.

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