„DIE STäNDIGE GRüNE BESSERWISSEREI NERVT SEHR VIELE MENSCHEN“

Deutschland weitet seine Grenzkontrollen aus, seit Mitternacht überwachen Beamte die Grenzen zu Belgien, Luxemburg, den Niederlanden und Dänemark. Der Union geht das nicht weit genug. Fraktionsvize Jens Spahn wirft der Ampel vor, Probleme zu verleugnen.

Unionspolitiker haben nach dem Anlaufen zusätzlicher Grenzkontrollen ihre Forderung nach weiteren Schritten bekräftigt, um unerlaubte Einreisen zu verhindern. Fraktionsvize Jens Spahn (CDU) sagte der „Rheinischen Post“, die Union bleibe bei der Forderung, „jede illegale Einreise aus einem sicheren Nachbarland an der Grenze zu unterbinden und zurückzuweisen“. Merz habe „einen konkreten Vorschlag gemacht. Jetzt liegt der Ball bei der Ampel.“

Spahn urteilte: „Deutschland ist objektiv mit irregulärer Migration seit vielen Jahren überfordert.“ Es sei eine „Pause“ nötig. „Messerattacken, Massenschlägereien, verwahrloste Plätze, all das macht etwas mit unserer Gesellschaft.“ Auf die Frage, ob er bewusst übertreibe, antwortete Spahn: „Nein, im Gegenteil. Die Ampel verleugnet das Problem. Das Gebrüll des Kanzlers bei der Generaldebatte im Bundestag war ein klares Zeichen seiner Überforderung.“

Der Maßstab sei zudem nicht, was die Ampel gut finde, sondern „was in der Sache notwendig“ sei. „Jedes Jahr reisen Hunderttausende einfach illegal nach Deutschland ein und bleiben, egal, wie das Asyl-Verfahren ausgeht. Und alle bekommen Sozialleistungen ab dem ersten Tag“, sagte Spahn. „Es überfordert uns auf allen Ebenen.“

Mit Blick auf die Grünen sagte Spahn, die Partei im Bund müsse sich verändern. „In ihrer Politik und ihrer Haltung – die ständige grüne Besserwisserei nervt sehr viele Menschen. Für eine Koalition im Bund müssten die Grünen einen sehr weiten Weg gehen“, sagte der frühere Gesundheitsminister und fügte hinzu: „Das sehe ich im Moment nicht.“

Seit dem frühen Montagmorgen wird an den deutschen Landgrenzen im Norden und Westen des Landes wieder kontrolliert. „Ab heute: Vorübergehende Grenzkontrollen auch an den Landgrenzen zu Belgien, Dänemark, Frankreich, Niederlande und Luxemburg“, teilte das Bundesinnenministerium am Morgen im Onlinedienst X mit.

„Kontrollen alleine reichen nicht aus“, sagt Dobrindt

Die Union hält die Kontrollen für unzureichend, um der irregulären Zuwanderung Herr zu werden. „Kontrollen alleine reichen nicht aus. Die Verweigerung der Ampel für umfassende Zurückweisung ist eine Kapitulation“, sagte der Vorsitzende der CSU-Bundestagsabgeordneten, Alexander Dobrindt der „Bild“-Zeitung.

Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul (CDU) warb für weitere Gespräche unter anderem mit der SPD. Diese müsse es „unbedingt“ geben, sagte er auf eine entsprechende Frage im „Berlin Playbook“-Podcast des Magazins „Politico“. „Es ist ganz wichtig, dass man zusammenkommt. Das muss über Parteigrenzen hinweg gelöst werden.“

Der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz bekräftigte seine prinzipielle Offenheit für ein Spitzengespräch mit Kanzler Scholz. Er habe seine Bereitschaft dazu erklärt, sagte der Unionsfraktionschef in der ZDF-Sendung „Berlin direkt“. „Der Regierungssprecher hat allerdings dann erklärt, der Bundeskanzler würde daran nicht denken, eine solche Einladung auszusprechen. Dazu können wir ihn nicht zwingen. Ich nehme das zur Kenntnis.“

Die zusätzlichen Kontrollen sollen zunächst sechs Monate andauern, um die Zahl unerlaubter Einreisen stärker einzudämmen. Der Pendler- und Reiseverkehr soll möglichst wenig beeinträchtigt werden – die Kontrollen sind stichprobenartig, nicht alle Fahrzeuge werden angehalten.

Grenzkontrollen sind im Schengen-Raum eigentlich nicht vorgesehen. Bisher kontrollierte die Bundespolizei nur an den Grenzen zu Polen, Tschechien, Österreich, der Schweiz und zuletzt wegen der Olympischen Spielen in Paris auch Frankreich. Rechtlich möglich sind die weiteren Kontrollen seit Mitternacht.

Innenministerin Nancy Faeser (SPD) sagte am Sonntagabend: „Diese Maßnahme ist aus meiner Sicht dringend erforderlich, um die irreguläre Migration weiter zurückzudrehen.“ Sie hatte in der vergangenen Woche angeordnet, dass es ab Montag an allen Landgrenzen stationäre Kontrollen geben soll.

Ein Sprecher der Bundespolizei sagte, in Niedersachsen seien wie geplant zusätzliche Beamte im Einsatz. Sie sollen auf niedersächsischer Seite Einreisende aus Richtung Niederlande überprüfen. Feste Kontrollstellen wurden auf der Autobahn 30 bei Bad Bentheim, der A280 bei Bunde und der Bundesstraße 402 bei Schöninghsdorf (Höhe Meppen) eingerichtet.

Zudem waren im grenznahen Raum zu den Niederlanden auch auf den Nebenstraßen Fahndungsmaßnahmen angekündigt. In Nordrhein-Westfalen kontrollierten Bundespolizisten etwa auf der Autobahn 44 bei Aachen Einreisende aus Richtung Belgien. Weitere mobile Kontrollen für Einreisende aus Luxemburg gibt es auf der A 64.

Bei den stationären Kontrollen an den Landgrenzen von Deutschland zu den Niederlanden erwischten Bundespolizisten Drogenschmuggler. Die drei Männer seien mit Haschisch im Kofferraum unterwegs gewesen, sagte ein Sprecher der Bundespolizei. Sie entzogen sich laut Polizeiangaben der Kontrolle auf der Autobahn A30 bei Bad Bentheim und flüchteten. Erst etwa 30 Kilometer entfernt hätten Beamte sie stoppen können. Nun wird gegen sie ermittelt.

Nachbarländer haben Bedenken angemeldet

Stationäre Grenzkontrollen ermöglichen sogenannte Zurückweisungen. Das ist weniger aufwendig, als dafür zu sorgen, dass jemand, der bereits unerlaubt eingereist ist, Deutschland wieder verlässt. Laut Bundesinnenministerium gab es seit Oktober 2023 mehr als 30.000 Zurückweisungen an den deutschen Grenzen. Zurückgewiesen werden derzeit Ausländer, die kein Asylgesuch vorbringen, und solche, die mit einer Einreisesperre belegt sind. Eine Forderung der Unionsfraktion nach umfassenderen Zurückweisungen hatte die Ampel-Koalition wegen europarechtlicher Bedenken abgelehnt.

Nachbarländer wie Österreich und Polen hatten – auch im Zuge dieser umfassenderen Diskussion – Bedenken gegen die Ausweitung der Grenzkontrollen angemeldet. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat aber „begonnen, mit den Chefs der Nachbarländer sehr sorgfältig zu sprechen, übrigens auch mit der Präsidentin der Europäischen Kommission“, wie er am Sonntagabend auf seiner Usbekistan-Reise sagte.

„Alle wissen, dass wir uns im Rahmen des europäischen Rechts bewegen, aber da unsere Möglichkeiten maximal ausnutzen“, erklärte Scholz. „Alle verstehen, dass die Zahl derjenigen, die nach Deutschland kommen, zu groß ist und dass es deshalb ein nachvollziehbares Interesse der deutschen Regierung ist, dafür zu sorgen, dass wir diese Dinge durch ein gutes Management irregulärer Migration in den Griff kriegen.“ Dazu gehörten auch solche Kontrollen.

Bei denen Grünen werden sie aber kritisch gesehen. „Es ist fraglich, wie effektiv der Grenzschutz sein kann, auch angesichts der personellen Ausstattung der Bundespolizei“, sagte etwa Nordrhein-Westfalens Vize-Ministerpräsidentin Mona Neubaur dem „Tagesspiegel“.

Faeser hatte die Ausweitung der Kontrollen am vergangenen Montag wie vorgeschrieben bei der EU-Kommission angemeldet und mit einer großen Belastung Deutschlands durch irreguläre Migration begründet. Sie sind erst einmal für sechs Monate geplant. Allerdings hat sich in der Vergangenheit gezeigt, dass solche Kontrollen nach der Einführung so schnell nicht mehr enden. An den Landgrenzen zu Polen, Tschechien und der Schweiz kontrolliert die Bundespolizei seit Mitte Oktober, an der Grenze zu Österreich bereits seit Herbst 2015.

Nach dem Schengener Abkommen ist das grundsätzlich nicht vorgesehen. Aber auch andere Schengen-Staaten kontrollieren an ihren Landgrenzen und begründen dies teils mit der Begrenzung irregulärer Migration, teils mit der Bedrohung durch islamistischen Terrorismus beziehungsweise mit Risiken im Kontext des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine.

Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) hatte nach dem Scheitern der Migrationsgespräche zwischen Regierung und Union einen neuen Anlauf auf höchster Ebene angeregt: mit Merz, Scholz, Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und ihm selbst.

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