„DIE POLITISCHEN VORSTELLUNGEN IN DER AMPEL GEHEN WEITER AUSEINANDER“

Die Lockerung der Schuldenbremse ist für Grünen-Fraktionschefin Katharina Dröge unabdingbar. Sie sieht einen Weg, das der FDP schmackhaft zu machen. Zugleich warnt sie die Liberalen bei Paus‘ Kindergrundsicherung vor „unnötigen“ Forderungen. Und wie reagiert sie auf verbreiteten Unmut über grüne Politik?

Katharina Dröge führt zusammen mit Britta Haßelmann die Grünen-Fraktion im Bundestag. Die 39-jährige Volkswirtin ist seit 2013 Bundestagsabgeordnete.

WELT AM SONNTAG: Frau Dröge, laut einer Allensbach-Umfrage empfinden 43 Prozent der Deutschen die Grünen als dominierende Kraft in der Ampel. Sehen Sie Ihre Partei auch in dieser einflussreichen Rolle?

Katharina Dröge: Wir haben mit Robert Habeck und Annalena Baerbock Minister, deren Themen für die Menschen enorm wichtig sind und die ihre Aufgabe sehr gut wahrnehmen. Deswegen sind wir sehr sichtbar. Annalena Baerbock leitet das Außenministerium in einer Zeit, in der Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten toben. Putin versucht, ukrainische Städte in Schutt und Asche zu legen. Der Iran hat Israel in einem nie dagewesenen Akt der Aggression angegriffen. Darauf hat die deutsche Außenministerin klar und mit Bedacht reagiert.

WELT AM SONNTAG: Mit Habeck verbinden viele inzwischen vor allem die Wärmepumpe …

Dröge: Der Vizekanzler hat die Energieversorgung in Deutschland gesichert, nachdem Putin die Gasversorgung abgedreht hat. Damit hat er die Menschen und die Wirtschaft sicher durch eine sehr schwierige Zeit gebracht. Nun geht es darum, die Wirtschaft wieder in Schwung zu bringen und klimaresilient aufzustellen – da ist auch schon enorm viel passiert.

WELT AM SONNTAG: Der Befund war nicht als Kompliment gemeint. Viele halten die Grünen für zu mächtig in der Regierung.

Dröge: Dass es eine politische Polarisierung im Land gibt, bestreite ich nicht. Weil es zu lange Stillstand gab, müssen viele Zukunftsfragen jetzt gleichzeitig angegangen werden: Unabhängigkeit von Russland, Klimaschutz, Modernisierung der Wirtschaft. Veränderungen verursachen auch Kontroversen. Und trotzdem sind sie nötig. Wir Grünen verschieben nicht wichtige Entscheidungen, nur weil das für uns bequemer ist.

WELT AM SONNTAG: Der Anteil derer, die Ihre Politik ablehnen, hat sich seit 2019 auf 56 Prozent mehr als verdoppelt. Macht Ihnen der Vertrauensverlust keine Sorgen?

Dröge: Natürlich wollen wir auch die Menschen überzeugen, die gerade kritisch auf unsere Politik schauen. Gleichzeitig sind wir die einzige Regierungspartei, die ihr Bundestagswahlergebnis in etwa halten kann. Was mich besorgt, ist die Art der gesellschaftlichen Auseinandersetzung, die Attacken sind rauer geworden. Mit Kritik müssen und können wir leben, mit tätlichen Angriffen nicht.

WELT AM SONNTAG: Warum hört der Dauerstreit in der Ampel nicht auf?

Dröge: Ich wünsche mir einen anderen Umgang. Dass unterschiedliche Parteien miteinander um Kompromisse ringen, gehört in der Demokratie dazu. Die Art und Weise, wie miteinander diskutiert wird, sorgt aber für Verunsicherung und stört die Leute zu Recht. Der Zoff überdeckt zudem, wie viel Gutes wir gemeinsam hinkriegen.

WELT AM SONNTAG: Was haben Sie sich für die Restlaufzeit der Ampel noch vorgenommen?

Dröge: Die Stärkung der Wirtschaft und soziale Gerechtigkeit stehen für mich im Vordergrund. Beim Startchancen-Programm für Schulen zum Beispiel ist der Bund mit zehn Milliarden gerade noch einmal in die Verantwortung gegangen, obwohl Bildung eigentlich bei den Ländern liegt. Wichtig ist auch, dass wir beim Thema Wohnen vorankommen und die gegenseitige Blockade von SPD und FDP bei der Mietpreisbremse endlich überwunden ist. Wohnen muss bezahlbar bleiben.

WELT AM SONNTAG: Beim Klimaschutz haben Sie sich in dieser Woche geeinigt. Aber nicht, ohne dass vorher Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) mit Fahrverboten gedroht hat. Was war da los?

Dröge: Das war komplett überflüssig. Unsere Verhandlungen waren auf gutem Weg, die Einigung längst in Sicht. Wissings Drohung hat das ganze Land verunsichert, völlig unnötig. Zu einem Fahrverbot hätten wir es nie kommen lassen. Was aber weiterhin notwendig ist: Volker Wissing muss liefern. Mit sinnvollen Maßnahmen für Klimaschutz im Verkehr. Etwa durch eine Ausbauoffensive für Bus und Bahn.

WELT AM SONNTAG: Mit der Cannabis-Freigabe und dem Selbstbestimmungsgesetz haben Sie zwei Herzensanliegen der grünen Klientel gerade durchgesetzt. Was kommt als nächstes – eine weitere Reform von Paragraf 218?

Dröge: Es geht hier um die medizinische Versorgung von Frauen und um ein wichtiges ethisches Thema, das die ganze Gesellschaft betrifft. In dieser Woche hat eine unabhängige Kommission aus verschiedensten Expertinnen ihr Ergebnis vorgestellt. Das ist ein sinnvoller Ausgangspunkt für eine breite gesellschaftliche Debatte.

WELT AM SONNTAG: Wird eine Reform noch in dieser Legislaturperiode zum Gesetz?

Dröge: Für die Debatte sollten wir uns die Zeit nehmen, die nötig ist. Die Kommission schlägt beispielsweise vor, die unterschiedlichen Wochen der Schwangerschaft auch unterschiedlich zu betrachten. Ich glaube, viele Menschen wissen nicht, dass auch der Schwangerschaftsabbruch in den ersten zwölf Wochen im Strafgesetzbuch geregelt ist. Dass das so ist, hat aber Konsequenzen für die gesundheitliche Versorgung von Frauen. In ländlichen Regionen gibt es oft kaum noch Ärztinnen, die Schwangerschaftsabbrüche überhaupt durchführen. Das ist ein ernstes Thema, über das wir reden müssen.

WELT AM SONNTAG: Um das grüne Thema Kindergrundsicherung gibt es viel Ärger. Die FDP fordert von Ihrer Parteikollegin Familienministerin Lisa Paus einen komplett neuen Gesetzentwurf.

Dröge: Das Bundeskabinett hat gemeinsam ein Gesetz beschlossen. In dem geht es darum, Kinder aus Armut zu holen. Wie jeder Gesetzentwurf wird auch dieser im Parlament noch einmal verhandelt und nötigenfalls geändert. Das weiß die FDP. Solche Forderungen sind deshalb unnötig und wenig zielführend, wenn man sich einander annähern möchte.

WELT AM SONNTAG: Es waren die Grünen, die das Thema mit der Forderung nach 5000 neuen Behördenstellen desavouiert haben. Rechnen Sie ernsthaft noch mit einer Zustimmung?

Dröge: Es wird keine zusätzlichen 5000 Stellen geben. Das haben wir sehr klar gesagt. Ziel der Kindergrundsicherung ist es, dass Leistungen für Kinder aus einer Hand kommen und für Eltern einfacher und unkomplizierter zu beantragen sind. Der Kinderzuschlag erreicht viele Kinder heute nicht, obwohl sie einen Anspruch darauf hätten. Der Staat soll die Eltern in Zukunft proaktiv darauf hinweisen. Daraus ergibt sich automatisch ein Mehraufwand.

Wir werden aber darauf drängen, dass dieser Aufwand durch die Digitalisierung der nötigen Verwaltungsarbeiten möglichst gering ausfällt. Außerdem werden Länder und Kommunen bei ihren Aufgaben entlastet.

WELT AM SONNTAG: Fest steht, die Kindergrundsicherung wird den Etat erheblich belasten – in einer Situation, in der der Staat nach dem Karlsruher Schulden-Urteil über weniger Geld verfügen kann. Wie soll die Rechnung aufgehen?

Dröge: Richtig ist, dass der Bundeshaushalt 2025 eine große Herausforderung darstellt, die größte, seitdem unsere Koalition für den Haushalt verantwortlich ist. Richtig ist auch, dass die politischen Vorstellungen innerhalb der Ampel noch weit auseinandergehen.

Dennoch verlaufen die Diskussionen bisher sehr konstruktiv. Am Ende wird jedes Ministerium seinen Beitrag leisten müssen. Angesichts der zu bewältigenden Größenordnungen halte ich es allerdings für vernünftig, uns zusätzliche Spielräume für die Aufstellung des Haushalts zu schaffen.

WELT AM SONNTAG: Und das funktioniert wie?

Dröge: Wir haben zum einen die Möglichkeit zusätzliche Einnahmen zu generieren, indem wir zum Beispiel umweltschädliche Subventionen abbauen. Wir werden uns in dieser Lage aber auch über die Modernisierung der Schuldenbremse unterhalten müssen. Das fordert die Wirtschaft. Auch der Bundesrat, inklusive vieler unionsgeführten Länder, steht nahezu geschlossen hinter dieser Forderung. Deswegen wollen wir einen Vorschlag machen, der die Länder mit in den Blick nimmt.

WELT AM SONNTAG: Diesem Vorschlag wird Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) ganz sicher nicht zustimmen.

Dröge: Ich weiß, dass dieses Thema in der Koalition zum Teil anders gesehen wird. Aber angesichts der Größe des Problems würde ich den Moment als Finanzminister nutzen. Es ist ja nicht nur so, dass die Opposition die Tür geöffnet hat. Auch die Wirtschaftswissenschaft, selbst Ökonomen, die sich mit einer Reform der Schuldenbremse lange schwergetan haben, sind mittlerweile fast einhellig der Meinung, dass das jetzt notwendig ist. Im Übrigen ist es die FDP, die derzeit vehement dafür wirbt, die Wirtschaft kraftvoll zu unterstützen.

WELT AM SONNTAG: Sie wollen also die von den Liberalen propagierte „Wirtschaftswende“ politisch mit der Reform der Schuldenbremse verknüpfen?

Dröge: Das wäre eine gute gemeinsame Entscheidung.

WELT AM SONNTAG: Wäre es nicht realistischer, das Sondervermögen für die Bundeswehr aufzustocken oder mit Blick auf die Ukraine noch einmal den Haushaltsnotstand zu erklären? Damit könnte man die Schuldenbremse umgehen.

Dröge: Beides ist denkbar. Zumindest die Verteidigungspolitiker der Union würden uns da sicher unterstützen. Die Lage in der Ukraine ist ja tatsächlich deutlich schlechter, als wir uns das wünschen würden. Der Bedarf an weiterer Unterstützung ist groß.

WELT AM SONNTAG: Wo wir bei den gerade bei den sehr unangenehmen Themen sind. Wie positioniert sich Ihre Fraktion in der Debatte um die Wehrpflicht?

Dröge: Die wichtige Debatte aus meiner Sicht ist, dass wir endlich eine ordentliche Finanzierung des Bundesfreiwilligendiensts hinbekommen. Wir sollten diejenigen, die freiwillig einen solchen Dienst leisten wollen, in die Lage versetzen, dies auch tatsächlich zu tun. Und durch eine mangelnde Finanzierung halten wir junge Menschen, die sich engagieren wollen, schlichtweg davon ab.

WELT AM SONNTAG: Werden die Grünen wie 2021 mit einem eigenen Kanzlerkandidaten oder einer -kandidatin in die Bundestagswahl gehen?

Dröge: Ja, das halte ich für sinnvoll.

WELT AM SONNTAG: Ist das bei Umfrageergebnissen zwischen zwölf und 15 Prozent sinnvoll?

Dröge: Glauben Sie, dass die SPD mit 15 Prozent darauf verzichten würde, einen Kanzlerkandidaten zu nominieren? Die Grünen haben in den vergangenen Jahren mehrfach bewiesen, dass sich ihre Umfragewerte in relativ kurzer Zeit deutlich verbessern können.

WELT AM SONNTAG: Ist es richtig, dass die Frage, wer die Grünen in den nächsten Bundestagswahlkampf führt, in Wahrheit längst entschieden ist und die Antwort Robert Habeck lautet?

Dröge: Nein, da sind Sie nicht richtig informiert. Wir werden diese Frage gemeinsam entscheiden, aber nicht jetzt.

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