JüNGSTER IST ERST 9 JAHRE ALT - JUGENDGANG VON AHAUS: NENNEN SICH „KANAKEN“ UND HABEN PERFIDE DROH-TAKTIK

Terrorisiert eine Gruppe von Kindern und Jugendlichen eine ganze Kleinstadt in NRW? Die Stadt Ahaus weist Berichte als „überspitzt“ zurück. Schüler und Polizei hingegen zeichnen ein anderes Bild. Ein Ortsbesuch.

Der Polizeiwagen stört die Idylle an diesem Frühlingsabend. Im Schlosspark von Ahaus sind die Wiesen sattgrün, die Blumen akkurat gepflanzt, es liegt auch kein Müll auf den Wegen. Eine Postkartenidylle mit Schloss im westlichen Münsterland, wo die Straßennamen bereits niederländisch klingen.

Der jüngste Beschuldigte ist erst neun Jahre alt

Doch die Polizeistreife hat einen ernsten Hintergrund: Sie ist eine Maßnahme, um die Reihe an Gewalttaten in Ahaus zu stoppen. Die mutmaßlichen Aggressoren sind laut Polizei zwischen 20 und 30 Kindern und Jugendlichen. Der jüngste Beschuldigte ist erst 9 Jahre alt, der älteste 17 Jahre. Sie sollen am Bahnhof, im Schlosspark und an Bushaltestellen lauern. FOCUS online berichtete bereits über Familie Jugel, dessen 13-jähriger Sohn wegen der schlimmen Vorfälle die Schule wechseln musste.

 Mutter Bianca Jugelerzählt, wie die Clique ihrem Sohn an der Schule auflauerte: „Er musste sich hinknien und sollte sich bei dem zwölfjährigen Anführer entschuldigen.“ Die Eltern erstatteten umgehend Anzeige. Sie seien zudem mit zwei weiteren Familien in Kontakt, deren Kinder ähnliches mit der Jugendtruppe erlebt hätten.

Stadt Ahaus will nicht von einem „Schreckensszenario“ sprechen

Die Stadt versucht, ein grundsätzlich anderes Bild zu zeichnen. Der erste Beigeordnete Werner Leukens findet die Situation „sehr überspitzt dargestellt“. Im Gespräch mit FOCUS online sagte er, die Lage sei nicht anders als vor drei oder vier Monaten. „Von einem Schreckensszenario zu sprechen, halte ich für überzogen.“

Diesen Eindruck kann man beim Spaziergang durch das Zentrum der 40.000-Einwohner-Stadt bekommen. Wer an einem frühlingshaften Dienstag durch die kleinen Straßen mit den rot-geklinkerten Häusern und den herrschaftlichen Schlosspark läuft, erlebt eine wahre Kleinstadtidylle.

Da ist die Optikerin, die mit der Sonne um die Wette lächelt. Von der Gewalt hat sie noch nichts gehört, und außerdem liefen die Geschäfte blendend. „Sie sehen ja was hier los ist.“ Da ist die Rentnerin, die direkt neben dem Schulzentrum wohnt. Jugendgewalt, hier in Ahaus? „Davon habe ich nur in der Zeitung gelesen.“ Auch die Kellnerinnen eines Cafés haben noch keine Jugendlichen gesehen, die sich danebenbenommen hätten. Klar, am Supermarkt gebe es immer mal wieder Vorfälle – aber in welcher Kleinstadt ist das nicht so?

Allein gegen einen Zwölfjährigen ermittelt die Polizei in 50 Delikten

Einen anderen Eindruck kann bekommen, wer mit der örtlichen Polizei telefoniert. Allein gegen einen Zwölfjährigen liegen den Beamten 50 Strafverfahren vor. Die mutmaßlichen Delikte reichen von gefährlicher Körperverletzung über Bedrohung bis Beleidigung. Er soll der Anführer der Gruppe sein. Die Polizei prüft derzeit, ob es sich um eine bandenähnliche Struktur handelt. Bedeutet: Einer gibt die Befehle, die anderen folgen.

Familie Jugel berichtet im Gespräch mit FOCUS online, wie der Zwölfjährige in der Gruppe den Ton angeben soll. Er soll einen sogenannten „Sprecher“ haben, der für ihn das Wort erhebt. Die Jugels zeigen auf ihrem Handy ein Video, welches dies belegen soll. Zudem bezeichne sich die rund 30-köpfige Gruppe selbst als „Kanaken“. Die kleinen, noch strafunmündigen Kinder hießen „Minions“ – wie die gelben Männchen aus dem Kinderfilm, welche die Arbeit erledigen.

Laut Familie Jugel würden gezielt die jüngeren Kinder vorgeschickt. Denn wer noch keine 14 Jahre alt ist, kann in Deutschland nicht strafrechtlich belangt werden. Die Kreispolizei Borken kann das auf Nachfrage von FOCUS online weder bestätigen noch dementieren.

„Die schicken die Zwerge vor, weil die nicht bestraft werden können“

Im Schlosspark sitzt an diesem Abend eine Gruppe aus vier Jugendlichen, zwischen 14 und 17 Jahre alt. Sie kennen die Clique aus der Schule und bestätigen auch die Darstellung von Familie Jugel.

Ein Junge erklärt, wie die Clique gezielt Personen umzingeln würde: „Die spielen immer 15 gegen Einen.“ Er deutet auf die Höhe seines Bauchnabels. „Die schicken die Zwerge vor, die Kleinen. Weil die nicht bestraft werden können.“ Die Polizei lässt auf Nachfrage unbeantwortet, ob besonders viele Anzeigen gegen strafunmündige Kinder in diesem Zusammenhang vorliegen. Dies sei Gegenstand der laufenden Ermittlungen.

Ermittlungen laufen bereits seit Oktober, doch erst jetzt sei das Bild klar

Die Jugendlichen werfen prüfende Blicke in den Park: Heute Abend sei keiner von der Clique zu sehen. Vermutlich, weil die Polizei regelmäßig Streife fahre. Neben mehr Patrouillen soll seit vergangenem Freitag auch die gemeinsame Ermittlungskommission der Kreispolizei helfen, die Taten einzudämmen. Nur, warum erst jetzt?

Ein Polizeisprecher erklärt gegenüber FOCUS online, dass bereits seit Oktober 2023 immer wieder Anzeigen gegen die Jugendgruppe aufgegeben wurden. Auch das Jugendamt sei bereits seit einigen Monaten in Kontakt mit den mutmaßlichen Tätern. Nur: Erst jetzt seien die Ermittlungsergebnisse so zusammengeführt worden, dass sich Muster gezeigt hätten. Das sagen sowohl Polizei als auch Stadt gegenüber FOCUS online.

„Reagieren kann man erst dann, wenn man eine gesicherte Erkenntnis hat“, sagt Werner Leukens, Beigeordneter aus Ahaus, gegenüber unserer Redaktion. Sie hätten nun ein Gesamtbild vorliegen. „Das kann man als zu spät darstellen“, sagt Leukens. „Ich würde aber sagen, wir haben umgehend gehandelt.“

Wie dieses umgehende Handeln konkret aussieht, auch das bleibt unklar. Die Schule, auf welche der mutmaßliche Anführer geht, verweist umgehend an die Bezirksregierung in Münster. Auch das Jugendamt beantwortet Fragen der Presse nur noch schriftlich. Beide Anfragen von FOCUS online blieben am Dienstagnachmittag unbeantwortet. Die Kommunikation müsse noch abgestimmt werden.

Betroffene können sich anonym und vertrauensvoll telefonisch an den Fachbereich Jugend der Stadt Ahaus wenden: 02561 / 72 388 oder an jede weitere Polizeidienststelle.

2024-05-07T16:28:27Z dg43tfdfdgfd