TV-KOLUMNE - GEN Z IM LEHRERZIMMER? ZDF-DOKU VERRäT, WAS SCHIEF LäUFT AN DEUTSCHEN SCHULEN

Immer weniger Menschen wollen unterrichten, immer mehr Lehrer werfen vorzeitig hin. Die Schuld dafür suchen sie dann im System oder bei den Schülern. Aber offensichtlich nie bei sich selbst.

Wer Lehrer wird, weiß in der Regel, was ihn oder sie erwartet. Weiß, dass das Leben als Lehrkraft viel Kraft kostet, auch wenn der Volksmund gerne lästert, als Lehrer habe man vormittags Recht und nachmittags frei. Jeder Pädagoge war auch einmal Pennäler und hat Lehrern das Leben möglichst schwer gemacht: Kinder und Jugendliche sind keine Unschuldsengel, sondern die natürlichen Antagonisten des Menschen an der Tafel.

Trotzdem spricht eine ZDF-Doku jetzt vom „Realitätsschock Lehrerin“ (in der ZDF-Mediathek abrufbar). Sie will uns weiß machen, dass der Pädagogen-Alltag sich so verändert hat, dass er jungen Menschen offenbar nicht mehr zugemutet werden kann. Tatsächlich erzählt die „37 Grad Leben“-Folge aber davon, woran unser Schulsystem krankt.

Nach dem Referendariat ist vor der Weltreise

Wir treffen Lara, 29, und Kaliopi, 27 Jahre jung: zwei nette junge Frauen, die sich aus Überzeugung für den Beruf der Lehrerin entschieden haben. Kaliopi schmeißt dann nach dem Referendariat an einem Gymnasium hin, Grundschullehrerin Lara will erst einmal einen Schnitt machen und auf Weltreise gehen. Und danach entscheiden, wie es beruflich weitergehen soll mit ihr. 

Was ist passiert? Nichts Dramatisches. Sondern eben schulischer Alltag mit Stunden, die vorbereitet werden müssen, und Tests, die korrigiert werden wollen. Dazu Kinder und Jugendliche, die nicht sehnsüchtig auf Wissenszuwachs warten, sondern sich querstellen, sich verweigern und Widerworte geben. Kaliopi verliert während des Referendariats ihre „happy Aura“, bescheinigt ihr der Freund. Lara arbeitet an einer sogenannten Brennpunktschule und hat gerade mal 13 Kinder in ihrer Klasse. Und sagt, dass sie nicht weiß, wie lange sie das noch durchhält.

In Deutschland beginnen jährlich rund 52 000 Menschen ein Lehramtsstudium. Nach dem Referendariat sind davon gerade mal 28 000 übrig. Und die verabschieden sich dann zum Teil auf Raten: Rund 42 Prozent der Lehrkräfte arbeiten im Schuljahr 2022 / 2023 in Teilzeit: Höchststand in den vergangenen zehn Jahren. Wie kann das sein?

Ist das Studium falsch – oder studieren die Falschen?

Vielleicht bilden wir unsere künftigen Lehrkräfte falsch aus: Zu viel Fachwissen, zu wenig pädagogisches Handwerkszeug, zu wenig Stressbewältigungstechniken. Lara etwa fühlt sich überfordert, „weil einfach pausenlos jemand etwas von mir will“. Es stresst sie, dass sie auch jenseits des Unterrichts über ihren Job nachdenkt. Aber welchen Beruf kann man mit Feierabend komplett gedanklich hinter sich lassen?

In Finnland, seit Jahren einer der europäischen Spitzenreiter in Sachen Bildungserfolge, werden Lehrer nicht zu fachlichen Experten, sondern zu Allroundern ausgebildet. Da der Lehrplan nicht bis in die Fußnoten hinein reguliert ist, sondern lediglich Lernziele fixiert sind, haben sie viel gestalterische Freiheit. Sie arbeiten nicht als Einzelkämpfer an der Tafel, sondern in Teams mit Sozialarbeitern, Psychologen und Schulassistenten.

Zuflucht für die Mediokren und Idealisten

Vielleicht werden in Deutschland aber auch schlicht die falschen Menschen ausgebildet – solche, bei denen es nicht zum Master gereicht hat und die deshalb den Weg in den Beamtenstatus mit privater Krankenversicherung, hohen Pensionsansprüchen und drei Monaten „unterrichtsfreier Zeit“ im Jahr wählen. Oder solche mit wolkigen Vorstellungen anstelle von Realisten mit hoher Resilienz. „Ich glaube schon, dass ich zu idealistisch bin“, gibt Lara zu, ihre Vorstellungen würden oft nicht zur Schulrealität passen. 

Wieder der Blick nach Finnland: Dort wird nur jeder zehnte Bewerber zum Lehramtsstudium zugelassen. Pädagogen werden nicht verbeamtet und zudem schlechter entlohnt als ihre deutschen Kollegen. Dennoch entscheiden sich rund zehn Prozent eines jeden Jahrgangs für den Lehrerberuf. Und scheinen dann auch dabei zu bleiben – ganz ohne „Realitätsschock“.

Wo bleibt das optimistische Lehrerporträt?

Für Deutschland prognostiziert die Kultusministerkonferenz 68 000 fehlende Lehrkräfte bis 2035. Mit ihren zwei dünn besaiteter Protagonistinnen setzt die Doku nichts entgegen. Es kommen lediglich weitere Aussteiger zu Wort und erzählen wenig überzeugend von der Verzweiflung, die sie zu diesem Schritt gebracht hat. Deutschland, so scheint es, professionalisiert sich zunehmend im Jammern auf hohem Niveau. Warum nicht mal eine Lehrkraft porträtieren, die gerne zur Schule geht? Die davon erzählt, dass der Job zwar anstrengend ist, aber an manchen Tagen womöglich sogar Spaß macht? Gibt es denn wirklich niemanden mehr, der für diesen Beruf berufen ist?

Ja, es läuft vieles falsch im deutschen Schulsystem. Doch das wird sich nicht ändern, wenn an der Tafel in erster Linie Menschen stehen, die bei der Konfrontation mit der Realität erst in die Knie gehen und dann laut jammernd davonlaufen. Unsere Kinder haben Besseres verdient.

2024-05-05T17:51:30Z dg43tfdfdgfd