„ÄUßERST BEDENKLICH“ – DAS STECKT HINTER DEM UMSTRITTENEN DEAL DER TK

Im Bereich Fernmedizin wird die Techniker Krankenkasse zukünftig mit TeleClinic zusammenarbeiten. Hinter dem Anbieter steht die bekannte Versandapotheke DocMorris. Kritiker sehen die Trennung zwischen Arzt und Apotheke gefährdet – und weisen auf mögliche Datenschutz-Probleme hin.

In der Werbung der Techniker Krankenkasse (TK) wirkt die Online-Medizin wie ein Arztroman. „Pünktlich um 8 Uhr ist der Computer hochgefahren, das Headset angelegt und die beiden Spotlights auf den Mann vor der weißen Leinwand gerichtet“, heißt es auf der Website der TK über einen Arzt aus dem TK-Ärztezentrum. Dorthin können sich Versicherte der TK rund um die Uhr per Video, Telefon oder Chat wenden, um medizinische Probleme abzuklären.

Doch das digitale Idyll vom hingebungsvoll wartenden Arzt scheint bedroht. Denn der Betreiber des digitalen TK-Ärztezentrums soll mit Anfang Dezember wechseln. Statt des derzeitigen Betreibers, dem wohl nur Fachleuten bekannten Unternehmen Ife Gesundheit mit Sitz in Nehmten in Schleswig-Holstein, soll das Unternehmen TeleClinic diese Dienstleistung übernehmen.

Der Konzern, zu dem dieser Fernmedizin-Anbieter gehört, ist wohl auch vielen Nicht-Fachleuten ein Begriff: die Versandapotheke DocMorris mit Hauptsitz in Frauenfeld in der Schweiz.

Medizinische Fernbehandlungen gehören für die meisten Krankenkassen längst zum Standard. Der Anteil der Online-Untersuchungen ist mit rund einem Prozent aller Arztbesuche zwar noch gering. Angesichts überlaufener Arztpraxen und der zunehmend ausgedünnten Versorgung im ländlichen Raum sehen Branchenbeobachter in diesem Zweig jedoch großes Wachstumspotenzial.

Die neue Partnerwahl der TK könnte allerdings zu Konflikten führen. Denn gerade in der deutschen Apothekerschaft genießt die Schweizer Online-Apotheke wenig Sympathie. Als „äußerst bedenklich“ bezeichnet etwa die Apothekerkammer Nordrhein die Form der Kooperation.

So beobachte die Kammer „mit einiger Sorge“, „dass Telemedizin-Anbieter und ausländische Versender von Arzneimitteln von der Eigentümer-Struktur her de facto dieselbe Mutter haben“. „Die zuverlässige Trennung zwischen Arzt und Apotheke wird hier gefährdet“, so die Apothekerkammer Nordrhein. Auch Datenschützer weisen auf mögliche Konflikte hin, die sich durch die konkrete Ausgestaltung des Online-Services möglicherweise ergeben könnten.

Dass die Kritik an der Kooperation zwischen der TK und DocMorris bislang nicht lauter ausgefallen ist, dürfte schlicht daran liegen, dass bisher so gut wie niemand davon weiß. Die TK hat das Ergebnis der Ausschreibung zwar auf seinem Vergabeportal publik gemacht.

Die TK selbst sieht keinerlei Probleme in der Kooperation. So habe TeleClinic „die geforderten Kriterien qualitativ und wirtschaftlich besser erfüllt“ als andere Wettbewerber „und deshalb den Zuschlag erhalten“. Auch datenschutzrechtliche Probleme sieht die TK nicht.

Nicht alle TK-Kooperationen verliefen reibungslos

So teilt die Krankenkasse mit, dass TeleClinic „alle personenbezogenen Daten in verschlüsselter Form auf Servern“ speichern würde, die sich in Deutschland befinden würden. Dies entspreche den vertraglichen Vorgaben der TK.

Auch TeleClinic betont, dass die Daten deutscher Versicherter nicht an DocMorris oder in die Schweiz übermittelt werden. „TeleClinic verarbeitet alle Nutzerdaten verschlüsselt in deutschen Rechenzentren“, teilt das Unternehmen mit. DocMorris teilt mit, dass „zu keinem Zeitpunkt ein Austausch von Nutzerdaten“ zwischen TeleClinic und DocMorris stattfinden würde.

Allerdings sind nicht alle Kooperationen der TK mit Digitaldienstleistern reibungslos verlaufen. So kooperierte die TK in der Vergangenheit mit dem Unternehmen Ada Health, das eine App zum Abklären von Symptomen entwickelt hatte. Das Programm galt als eine der populärsten Gesundheits-Apps.

Im Jahr 2019 wurden jedoch Vorwürfe laut, dass Ada Health Daten von Anwendern, ohne deren Einverständnis etwa an Facebook weitergereicht hätte. Die TK beendete damals die Kooperation.

Auf Nachfrage teilt die TK mit, dass die „damals aufgekommenen datenschutzrechtlichen Fragen“ die TK nicht betroffen hätten. Ada Health ließ eine entsprechende Anfrage unbeantwortet.

Der Berliner Anwalt und Datenschutzrechtler Jan Mönikes sieht punkto Datentransfer bei den Online-Sprechstunden von TeleClinic prinzipiell kein Problem, auch wenn der Eigentümer seinen Sitz in der Schweiz hat. „Es gibt keine Form von Datenfluss, der von Behörden strenger reguliert wird als jener von Gesundheitsdaten. Dass der Eigentümer von TeleClinic in der Schweiz sitzt, ändert dabei nichts an der Lage, da das Land von der EU als Staat mit einem angemessenen Datenschutzniveau angesehen wird“ und daher Daten „frei über diese Grenze fließen dürfen“.

Die TK widerspricht den Bedenken

Fragen stellt Mönikes hingegen an die konkrete Ausgestaltung des digitalen Angebots für TK-Versicherte. „Sollte TeleClinic nach der digitalen Sprechstunde etwa einen voreingestellten Button anbieten, mittels dem Versicherte ein verschriebenes Rezept direkt bei DocMorris einlösen können, dürften bei Wettbewerbern die Alarmglocken schrillen. Das könnte ähnliche Rechtsfragen wie bei Herstellern von Betriebssystemen aufwerfen, die einen bestimmten Webbrowser vorinstallieren und damit den fairen Wettbewerb einschränken“, so Mönikes.

Zudem weist der Datenschutzrechtler darauf hin, dass auf eine mögliche Quersubventionierung zu achten sei. „Sollte TeleClinic den Zuschlag der TK erhalten haben, weil sie günstiger als Mitbewerber anbieten, diese Verluste aber durch Einnahmen von DocMorris wettmachen, könnte das ebenfalls den Markt verzerren“, so Mönikes.

Die TK widerspricht diesen Bedenken. So habe TeleClinic der TK vertraglich zugesichert, unabhängig von ihrer Muttergesellschaft zu agieren. „Sie ist vertraglich verpflichtet, alles zu unterlassen, was den Eindruck erwecken könnte, sie werde bei der Erbringung ihrer Leistungen durch die pharmazeutische Industrie oder einzelne Unternehmen der pharmazeutischen Industrie beeinflusst. Die TK hat daher keinen Grund zur Annahme, dass es zu Interessenskonflikten kommen sollte“, so die TK.

TeleClinic teilt mit, dass E-Rezepte aus telemedizinischen Behandlungen „in allen Apotheken“ eingelöst werden können. Neben der Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben habe sich TeleClinic „zudem vertraglich gegenüber der TK zur Unabhängigkeit verpflichtet“.

Die Zusicherungen der Vertragspartner stoßen in Apothekerkreisen dennoch auf Skepsis. Das liegt auch an einem nicht rechtskräftigen Urteil des Landgerichts München vom Mai. So untersagte das Gericht TeleClinic, in bestimmten Fällen Patienten von DocMorris-Seiten zugeleitet zu bekommen. Geklagt hatte die Apothekerkammer Nordrhein.

Die TK teilt dazu mit, das Urteil „umfassend juristisch geprüft“ zu haben und zu dem Schluss gekommen zu sein, dass „kein Grund für einen Ausschluss“ von TeleClinic vom Vergabeverfahren bestanden hätte. TeleClinic teilt mit, dass das Urteil sich „insbesondere mit der Werbung für einen asynchronen Behandlungspfad der erektilen Dysfunktion“ auseinandergesetzt habe, der „nicht Teil der TK-Services ist und somit keinerlei Auswirkungen auf die Kooperation“ habe.

Die Apothekerkammer Nordrhein, die das Verfahren gegen DocMorris angestrengt hatte, will den Beteuerungen von DocMorris nicht glauben. „Der Rechtsbruch ist Teil der DNA von DocMorris“, teilt die Kammer mit.

Andreas Macho schreibt für WELT vor allem über die Themen Pharma und Bauwirtschaft.

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