SEXUELLE GEWALT: FAMILIENRECHTLER UND PSYCHOLOGEN WARNEN VOR PARALLELJUSTIZ

Der Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexueller Gewalt soll verbessert werden. Doch an den Ideen des Bundesfamilienministeriums gibt es Kritik.

Familienrechtler und Psychologen kritisieren ein Gesetzesvorhaben des Bundesfamilienministeriums, das den Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexueller Gewalt verbessern soll. So sieht der Entwurf etwa vor, dass Betroffene, aber auch Personen, die ein berechtigtes Interesse belegen können, leichter Akten des Jugendamts oder von Heimen einsehen können. Bei einer individuellen Aufarbeitung der Gewalt können Betroffene von einem Gremium unterstützt werden, der Aufarbeitungskommission. Sie besteht seit 2016 und soll nun dauerhaft eingerichtet werden.

DER SPIEGEL fasst die wichtigsten News des Tages für Sie zusammen: Was heute wirklich wichtig war - und was es bedeutet. Ihr tägliches Newsletter-Update um 18 Uhr. Jetzt kostenfrei abonnieren.

Die Deutsche Gesellschaft für Psychologie kritisiert in einer Stellungnahme, es bestehe »die konkrete Gefahr einer Ablösung der Wahrheitsfindung von strafprozessualen Standards«. Auch der Deutsche Familiengerichtstag fürchtet »Parallelstrukturen«, bei denen es fraglich sei, ob sie »einen sinnvollen Beitrag zum Kinderschutz« leisten könnten. So könnten trotz eines Freispruchs in einem Strafverfahren »verschiedene staatliche Stellen zu unterschiedlichen Ergebnissen gelangen«, was zu einer »faktischen Verurteilung« führen könne.

Die Aufarbeitungskommission war zuletzt auch wegen eines anderen Themas in die Kritik geraten. Anlass war ein Forschungsprojekt des Universitätskrankenhauses Hamburg-Eppendorf (UKE), das von ihr gefördert worden war; es befasste sich mit sexuellem Kindesmissbrauch in sogenannten rituellen Gewaltstrukturen. Darunter werden meist körperliche oder psychische Gewalt von Tätern verstanden, die vernetzt sind und systematisch handeln und dies mit einer Ideologie begründen. Teils sollen die Täter Anhänger geheimer Kulte sein, manchmal ist von Satanisten die Rede. Sie sollen angeblich über Techniken verfügen, um ihre Opfer mental zu brechen und fortan durchweg kontrollieren zu können.

Am UKE entstanden in einer Forschungsgruppe darüber mehrere Arbeiten; sie legten den Schluss nahe, dass solche Taten existieren. Später wurde unter anderem auf Basis der Publikationen ein Wissensportal erstellt, finanziert mit mehr als 200.000 Euro vom Bundesfamilienministerium. Auch die Missbrauchsbeauftragten hatten über Jahre Thesen zu ritueller Gewalt verbreitet; noch immer verweist das Portal der Missbrauchsbeauftragten auf seiner Webseite auf Bücher, in denen etwa von satanischen Sekten die Rede ist.

Dabei halten etliche Psychotherapeuten, Psychiater und Rechtspsychologen solche Erzählungen für abwegig. Sie widersprächen wissenschaftlichen Erkenntnissen, Beweise würden fehlen. In einem Mitte April 2024 veröffentlichten Artikel der Fachzeitschrift »Psychologische Rundschau« kritisiert eine Gruppe renommierter Rechtspsychologen die von der Kommission geförderten Arbeiten deutlich. Aus Sicht der Autorinnen und Autoren könne das »Phänomen ritueller sexueller Gewalt auch als Verschwörungstheorie eingestuft werden«. Die Kommission weist die Kritik in einer Replik zurück.

Die Deutsche Gesellschaft für Psychologie geht in ihrer Stellungnahme zum Gesetzentwurf auf diese Kritik ein. So sei »trotz umfassender Kritik aus fachlicher Sicht« eine »inhaltliche Auseinandersetzung aufseiten der Aufarbeitungskommission erst in Ansätzen zu erkennen«. Auch sehen die Fachleute das »Wissenschaftsverständnis« der Unabhängigen Missbrauchsbeauftragten »äußerst kritisch«. Das Amt soll dem Gesetzentwurf nach gesetzlich verankert und somit gestärkt werden.

Dem Familienministerium nach soll der Entwurf Ende Mai im Bundeskabinett diskutiert werden.

2024-04-26T17:01:07Z dg43tfdfdgfd