STANDORT-DEBATTE: IN DEUTSCHLAND GIBT ES SO WENIG AUSLäNDISCHE INVESTITIONEN WIE SEIT ZEHN JAHREN NICHT MEHR

Die Zahl neuer Projekte ist um zwölf Prozent eingebrochen. Zwei Länder demonstrieren, was Deutschland besser machen kann.

Im abgelaufenen Jahr haben ausländische Konzerne nur 733 Investitionsprojekte in Deutschland angekündigt. Das sind so wenig Projekte wie zuletzt vor zehn Jahren und zwölf Prozent weniger als im Jahr zuvor.

Seit 2017 ist die Zahl der Investitionen in Europas größter Volkswirtschaft um 35 Prozent gesunken, in Frankreich ist sie hingegen um 20 Prozent gestiegen. Das zeigt eine Analyse der Unternehmensberatung EY, die dem Handelsblatt vorab vorliegt. Erfasst wurden nur Vorhaben, die neue Standorte und Arbeitsplätze mit sich bringen – reine Übernahmen blieben außen vor.

Die neuen Zahlen dürften die Debatte über die Attraktivität des Standorts Deutschland verstärken. Schließlich tragen ausländische Unternehmen ein Viertel zur Wirtschaftsleistung bei. „Das ist ein Alarmsignal. Deutschland wird abgehängt, andere europäische Standorte entwickeln sich viel dynamischer“, sagt EY-Deutschlandchef Henrik Ahlers.

Europaweit wurden im vergangenen Jahr insgesamt 5694 Investitionsprojekte ausländischer Investoren angekündigt, ein leichter Rückgang um vier Prozent. Beliebtestes Land bleibt Frankreich, trotz eines Rückgangs an neuen Investitionsprojekten um fünf Prozent auf 1194. Großbritannien belegt den zweiten Platz, die Zahl der Projekte stieg um sechs Prozent auf 985.

Chinas Interesse an Deutschland

Gegen den Trend entwickelten sich ausgerechnet die Investitionen chinesischer Unternehmen positiv. Sie steigerten ihre Investitionsprojekte in Deutschland um 16 Prozent auf 99. Damit ist China nach den USA der zweitwichtigste Investor in Deutschland.

So investiert Rept Battero, ein chinesischer Spezialist für Energiespeicherlösungen, in München in eine europäische Niederlassung für Batterietechnologie. Der Elektroauto-Hersteller Nio baute in Berlin ein 1500 Quadratmeter großes Innovationszentrum. Als europäischer Technologiehub soll der Standort an der Entwicklung neuer Technologien und Anwendungen mitwirken.

Das stärkere Engagement Chinas ist umstritten und dürfte neuerliche Debatten über die Einflussnahme diktatorischer Wirtschafts- und Gesellschaftssysteme auf Deutschland und seine Werte nehmen. Die Bundesregierung untersagte zuletzt einige Projekte oder genehmigte sie nur unter Auflagen.

Kurz vor dem Jahreswechsel wurde der geplante Verkauf einer Chipfertigung des Dortmunder Unternehmens Elmos an einen chinesischen Investor gestoppt. Den Einstieg der chinesischen Staatsreederei Cosco bei einem Terminal des Hamburger Hafens billigte Wirtschaftsminister Robert Habeck nur unter Auflagen.

Sorgen über die Sicherheit Deutschlands, die Kritiker durch chinesische Investitionen bedroht sehen, vergrößerten sich nach dem jüngsten Spionagefall. Ein Mitarbeiter des AfD-Politikers und -Spitzenkandidaten für die Europawahl, Maximilian Krah, wurde unter dem Vorwurf der Spionage für den chinesischen Geheimdienst verhaftet.

Frankreich punktet mit Wirtschaftsreformen

Mit 1223 ausländischen Investitionsprojekten steht Frankreich auf Platz eins in Europa. Die Wirtschaftskraft des Nachbarlandes ist um 30 Prozent niedriger als in Deutschland, es wohnen dort 20 Prozent weniger Menschen, doch Frankreich zog gut 50 Prozent mehr Zukunftsprojekte an als die größte europäische Volkswirtschaft.

Frankreichs Erfolgsrezept sind Wirtschaftsreformen. Dazu zählt die Abschaffung der Vermögensteuer. Der Arbeitsmarkt wurde flexibilisiert und die Unternehmensteuer gesenkt. Für Kapitaleinkünfte gilt ein einheitlicher Steuersatz, was die Berechnung vereinfacht.

Staatspräsident Emmanuel Macron kündigte vereinfachte Kredite für Zukunftstechnologien und schnellere Industrieansiedlungen an. Entsprechende Baugenehmigungen sollen in maximal neun Monaten vorliegen – in Deutschland liegen die Fristen meistens um ein Vielfaches höher.

Die Wirtschaft wuchs im vergangenen Jahr um knapp ein Prozent, 2022 waren es 2,5 Prozent, im Jahr davor 6,4 Prozent. In Deutschland waren es in denselben Zeiträumen minus 0,1 Prozent, 1,8 und 3,2 Prozent.

Von der französischen Regierung veröffentlichte Zahlen zeigen, dass durch ausländische Direktinvestitionen in den kommenden drei Jahren rund 60.000 neue Arbeitsplätze geschaffen werden. Bei einem Drittel aller Projekte geht es um strategisch wichtige und sensible Industriezweige im Rahmen eines 54 Milliarden Euro schweren Industriepakets. Damit werden Projekte in den Bereichen Künstliche Intelligenz, ökologischer Wandel und Quantenphysik gefördert.

Das ist auch für Investoren aus dem Nachbarland attraktiv: Mit 183 Investitionsprojekten ist Deutschland hinter den USA der zweitgrößte Investor in Frankreich.

Umgekehrt investieren französische Unternehmen allerdings eher selten in Deutschland: Gerade einmal 30 Investitionsprojekte französischer Unternehmen in Deutschland wurden 2023 gezählt.

USA punkten mit Subventionen

Um die Folgen der Coronapandemie und starken Preissteigerungen abzumildern, haben die USA ein billionenschweres Konjunkturpaket aufgelegt. Mit diesem von der US-Regierung um Präsident Joe Biden aufgelegten „Inflation Reduction Act“ verschärfen die USA den Standortwettbewerb, indem sie große Steuergutschriften bei Investitionen in grüne Technologien gewähren. Dies reduziert die Produktionskosten und zieht Investoren an.

Europa hat darauf keine adäquate Antwort gefunden. Neue Elektroautos mit Endmondtage in den USA beispielsweise erhalten Steuergutschriften von bis zu 7500 Dollar. Hinzu kommen hohe Anreize aufgrund der deutlich günstigeren Energie.

Die US-Standortpolitik zeigt gleich doppelte Wirkung: US-Unternehmen blieben im vergangenen Jahr zwar die wichtigsten Investoren in Europa, doch die Zahl ihrer Investitionsprojekte schrumpfte um 15 Prozent. In Deutschland wurden sogar 22 Prozent weniger US-Investitionen gezählt als im Vorjahr.

Darüber hinaus setzen viele europäische Unternehmen verstärkt auf die USA. So will RWE bis zum Ende des Jahrzehnts 20 Milliarden Euro in den USA unter anderem zum Aufbau und Betrieb von Windkrafträdern und Photovoltaikanlagen investieren.

Siemens Energy errichtet in Charlotte eine Fertigungsstätte für Transformatoren und wird dort 600 neue Arbeitsplätze schaffen. „Die Energiewende in den USA ist in vollem Gange, und in den nächsten zwei Jahren sind 3,9 Milliarden Dollar für den Ausbau und die Modernisierung des amerikanischen Stromnetzes zugesagt worden“, erklärte Tim Holt, Vorstandsmitglied von Siemens Energy.

Nach einer Umfrage der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK) unter ihren Mitgliedsunternehmen gaben 35 Prozent der Industriefirmen Kosteneinsparungen als Hauptmotiv für ihre Auslandsengagements an.

Dabei geht es für drei Viertel der Befragten um hohe Energie- und Rohstoffpreise und für knapp zwei Drittel um hohe Arbeitskosten. 42 Prozent der befragten 1900 Unternehmen wollen demnach im Ausland investieren.

Deutschland hat zu viele Hemmnisse

Zu hohe Steuern und Arbeitskosten, zu teure Energie und eine lähmende Bürokratie: So lauten seit Jahren die Vorwürfe ausländischer Investoren. Vor mehr als einem Jahr kündigte der amerikanische Halbleiterhersteller Wolfspeed an, auf dem Gelände des ehemaligen Kohlkraftwerks im saarländischen Ensdorf für 2,5 Milliarden Euro eine Chipfabrik zu errichten. 1000 Angestellte sollen dort künftig arbeiten. Doch wann der Bau beginnt, ist bis heute offen.

Grund für die Verzögerung sind unter anderem fehlende Genehmigungen nach dem „European Chips Act“. Dabei geht es um Subventionen und Förderzusagen. Offenbar reichen dem Konzern bisherige Zusagen nicht aus.

In jüngsten Präsentationen der US-Firma geht es um mehrere Investitionsabsichten in den USA, die mithilfe des staatlichen Konjunkturprogramms gefördert werden, doch der deutsche Standort taucht nicht mehr auf.

Bei der Höhe von Steuern und Sozialabgaben liegt Deutschland nach einer Studie der Industrieländerorganisation OECD nach Belgien auf Platz zwei von 38 untersuchten Staaten. Ein Single mit einem Durchschnittsverdienst musste demnach im vergangenen Jahr 47,9 Prozent seines Gehalts in Form von Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen an den Staat abführen. Der OECD-Durchschnitt lag bei 34,8 Prozent.

Eine Befragung von Finanzchefinnen und Finanzchefs (CFO) ausländischer Konzerne in Deutschland durch die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG bestätigt die Skepsis gegenüber Deutschland. Demnach gehört für jeden fünften Finanzchef der Standort zu den schwächsten fünf Ländern im EU-Vergleich, wenn es um die Ausrichtung an den Bedürfnissen internationaler Investoren geht.

Vor allem die mangelnde Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung schreckt viele Investoren ab. Für jeden vierten internationalen CFO ist Deutschland bei diesem Standortkriterium das Schlusslicht in Europa. Für weitere 36 Prozent gehört die Bundesrepublik zu den fünf schwächsten Ländern im EU-Vergleich.

Auch die Energiewende stößt bei internationalen Finanzchefs auf Kritik. 13 Prozent der befragten CFOs erwägen deshalb eine Verlagerung ihrer Produktion aus Deutschland ins Ausland. Bei den befragten US-Unternehmen zieht dieses sogar knapp jede vierte Tochtergesellschaft (24 Prozent) in Betracht.

Prominente Ansiedlungen machen Hoffnung

Eine rasche Trendwende ist ohne Strukturreformen, niedrigere Steuern und billigere Energie unwahrscheinlich. Doch trotz aller Klagen setzen viele ausländische Unternehmen weiterhin auf die größte Volkswirtschaft in Europa.

Geschätzt werden der große Markt, die logistische Mittellage in Europa und eine nach wie vor starke Industriebasis. Hoffnung machen prominente und milliardenschwere Investitionszusagen, wie die von Microsoft im Rheinischen Revier, Intel in Magdeburg und Apple in München.

Der US-Pharmakonzern Eli Lilly will für 2,3 Milliarden Euro eine neue Produktionsstätte für Medikamente etwa gegen Diabetes und Übergewicht im rheinland-pfälzischen Alzey errichten. Dabei geht es um 1000 neue Arbeitskräfte.

Die Verfügbarkeit von qualifizierten Ar­beits­kräften sei einer der ausschlaggebenden Gründe für die Standortwahl gewesen, erklärte Lilly-Manager Edgardo Hernandez. Für Alzey habe außerdem die Lage in der Nähe der bestehenden Standorte in Fegersheim bei Straßburg sowie in Bad Homburg gesprochen.

Das israelische Pharmaunternehmen Teva investiert am Standort Ulm rund eine Milliarde US-Dollar in die biotechnologische Produktion. Einer der Gründe für Tevas neue Investition ist die hohe Biotech-Kompetenz in der Region. Ab 2025 sollen Biopharmazeutika, die bei teils lebensbedrohlichen Erkrankungen eingesetzt werden, produziert werden.

Für Teva ist Deutschland der größte Pharmamarkt in Europa und genießt damit als Produktionsstandort und Logistikzentrum eine hohe Bedeutung.

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