LEITZINSEN: SOLL DIE EZB KüNFTIG ZINSPROGNOSEN ABGEBEN? DAS SAGEN EXPERTEN

Anders als die US-Notenbank hält sich die EZB mit Zinsprognosen bisher bedeckt. EZB-Direktorin Isabel Schnabel empfiehlt, mit dieser Praxis zu brechen – und sie gilt als einflussreich.

In Notenbankkreisen ist von einer möglichen „Revolution“ die Rede, wenn es um eine Idee von Isabel Schnabel geht. Das deutsche Direktoriumsmitglied der Europäischen Zentralbank (EZB) schlägt vor: Sie und jeder andere ihrer 25 Kollegen im EZB-Rat könnte künftig präzise darlegen, wie viele Zinssenkungen oder Zinserhöhungen sie oder er erwartet.

Die US-Notenbank Fed handhabt das seit Jahren so. Für die EZB wäre Schnabels Idee dagegen ein Bruch mit der bisherigen Praxis, sich bei den Aussichten für die Leitzinsen möglichst bedeckt zu halten. Der EZB-Rat setzt stattdessen in erster Linie auf mehrjährige Prognosen zur Inflation, um die Märkte zu steuern. Die haben sich allerdings als fehlerhaft entpuppt.

Die Hürde für eine so starke Veränderung sei hoch, sagt Marco Valli, Chefvolkswirt der italienischen Großbank Unicredit. „Auch weil das Risiko, die Marktpreise übermäßig zu beeinflussen, nicht unerheblich ist.“ Auf dieses Problem hat auch Schnabel hingewiesen. Valli findet es aber erfreulich, dass die EZB offen für neue Wege der Kommunikation sei. „Und Schnabel ist einflussreich.“

Ein Insider sagt, es sei ein Trugschluss anzunehmen, dass ein so „revolutionärer“ Wechsel viel mehr Gewissheit über die Zinspolitik bringen würde. Die Welt entwickele sich schließlich selten so weiter wie angenommen. „Man sieht an der Fed, wie oft sie ihren Zinsausblick revidieren muss.“

Jari Stehn, Europa-Chefvolkswirt der US-Bank Goldman Sachs, macht auf einen weiteren Nachteil aufmerksam: „Eine Leitzinsprognose könnte als Verpflichtung auf einen bestimmten Zinspfad missverstanden werden.“ Die Fed muss stets darauf hinweisen, dass ihr Zinsausblick eben keine Absichtserklärung ist, sondern lediglich die Summe dessen, womit die Notenbanker rechnen.

Frederik Ducrozet, Ökonom des Vermögensverwalters Pictet, begrüßt den neuen Ansatz grundsätzlich. Der EZB-Rat könne explizitere Hinweise auf die von den Markterwartungen abhängige künftige Entwicklung der Leitzinsen geben, wenn er seine Prognosen erstellt. „Das wäre sinnvoll.“

Ducrozet weist allerdings darauf hin, dass es einen entscheidenden Unterschied zur US-Notenbank gebe: Bei der EZB geht es immer auch um nationale Befindlichkeiten. Die nationalen Notenbankchefs könnten in ihren Heimatländern unter öffentlichen Druck geraten. Ducrozets Idee: Der EZB-Rat sollte sich auf Durchschnittswerte zu den Leitzinserwartungen beschränken.

Lagerbildung im EZB-Rat

Die Zinserwartungen zu anonymisieren, ist für Unicredit-Ökonom Valli jedenfalls keine Lösung: „Es wäre für die Märkte nicht allzu schwierig, sinnvolle Schlüsse zu ziehen.“ Viele Notenbanker beziehen regelmäßig öffentlich Position. Analysten haben quasi eine eigene Disziplin daraus gemacht, sie in Lager einzusortieren. Müssen die Notenbanker künftig genau abschätzen, wie stark die Leitzinsen fallen oder steigen werden, könnte das die Lagerbildung verstärken.

Parallel zur EZB arbeitet auch die Bank of England Prognoseirrtümer auf. Sie hat sich Rat vom früheren Fed-Vorsitzenden Ben Bernanke geholt. Anders als Schnabel empfiehlt Bernanke den Briten nicht, dem Vorbild der Fed nachzueifern.

Paul Dales, Ökonom des Analysehauses Capital Economics, bedauert das: „Die Projektion der Zinssätze wäre der klarste Weg, um mitzuteilen, was nach Meinung der Notenbank erforderlich ist, um das Inflationsziel von zwei Prozent zu erreichen.“

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