LANDGERICHT BAMBERG: STAATSANWALTSCHAFT AUF DER ANKLAGEBANK

Er soll im Amt Akku-Schraubendreher, beheizbare Stepp-Kleidung und auch einen Glühweinkocher bestellt haben. Nun ist der Leiter der Geschäftsstelle der Staatsanwaltschaft selbst Angeklagter.

Staatsanwaltschaft auf der Anklagebank

Schon der Beginn dieses Prozesses am Landgericht Bamberg wirkt erst mal ungewöhnlich. Der Staatsanwalt fragt die Vorsitzende Richterin, ob er das Saalmikrofon anschalten solle: „Ich kenne die hiesigen Gepflogenheiten nicht.“ Der Ankläger kennt sich nicht aus im Gericht? Zu erklären ist das so: Der Staatsanwalt gehört den Justizbehörden Würzburg an, die eine voluminöse Anklageschrift – insgesamt 62 Seiten – vorgelegt haben. Der Anklagevertreter muss sich mithin nicht auskennen in diesem Raum in Bamberg, der Angeklagte dagegen schon. Sehr gut sogar. Er war immerhin mehr als 13 Jahre, bis August 2022, Geschäftsleiter der Staatsanwaltschaft Bamberg. Der Mann also, der in der Anklagebehörde alles Organisatorische regelte, das Wichtige jedenfalls. Viele sagen zu so einem: heimlicher Chef.

Daraus nun erklärt sich die Zuständigkeit der Staatsanwaltschaft Würzburg. Wenn der Geschäftsleiter für die Bamberger Staatsanwältinnen und Staatsanwälte in den Verdacht gerät, sich im Amt zahlreicher Straftaten schuldig gemacht zu haben, so wäre es alles andere als optimal, wenn sich darum die örtliche Staatsanwaltschaft kümmerte. Folglich bestimmte die Generalanwaltschaft die Kollegen aus Würzburg, diese Ermittlungen zu übernehmen. So weit zu sehen ist, hat sie sich der Causa mit viel Sorgfalt fürs Detail angenommen.

Was dem 59-Jährigen, der auch mal kurz Geschäftsleiter des Amtsgerichts Bamberg war, vorgeworfen wird? Manches. Im Jargon der juristischen Branche würde man die gegen ihn vorgetragenen Punkte einen Spaziergang durchs Strafgesetzbuch nennen. Diebstahl, Urkundenunterdrückung, Besitz kinderpornografischer Inhalte, vor allem aber Untreue in 19 Fällen sowie – das ist zumindest quantitativ der Hauptvorwurf – Unterschlagung. Letzteres in insgesamt 78 Fällen.

Beginnt man mit diesem mengenmäßigen Hauptvorwurf, so scheint sich der ehemalige Geschäftsleiter im Amt zahlreiche Teile eines üblichen Hausstandes angeeignet zu haben. Die von ihm bei Handelshäusern für Büromaterialien und Elektronikartikel bestellten Waren waren offenbar so wertig, dass diese großzügige Gratis-Prämien gewährten. Jene wiederum konnten der Würzburger Staatsanwaltschaft zufolge im privaten Hausstand des Angeklagten sichergestellt werden.

Als da wären: eine Sporttasche, ein Messerset, ein ferngesteuerter Mini-Hubschrauber, eine spritzwassergeschützte Armbanduhr, Bluetooth-Lautsprecher, Smartphone-Powerbank, Küchenhelferset, ein Edelstahl-Gewürzständer, Fotopapier, ein Taschenrechner, eine Taschenlampe, auch Regenschirm, Bratpfanne, Küchenwaage, eine Dartscheibe samt sechs Dartpfeilen, ein Steak-Besteck, noch eine Sporttasche, noch ein Messerset und vieles mehr. Dazu kamen großzügig gewährte Einkaufsgutscheine, etwa fürs Würzburger Weingut „Bürgerspital“, auch ein Konkurrenzweingut sowie ein renommiertes fränkisches Modehaus.

Es ging aber offenbar nicht nur um Gratis-Prämien. Der Geschäftsleiter soll auch zahlreiche von ihm bestellte Elektronikartikel einfach mit nach Hause genommen haben, zum privaten Gebrauch: Wlan-Zubehör, einen Laptop, Drucker, Kabel, Tastatur mit Funkmaus, Festplatte, Schreibtischlampe, Tablet samt Displayschutz, Faltboxen, Tonerkartuschen, auch einen Garderobenständer und einiges mehr.

Anderes Nützliches, offenbar ebenfalls „ausschließlich zu privaten Zwecken“ gedacht, kaufte der Geschäftsleiter der Anklage zufolge einfach selbst und ließ sich die Rechnungen schlicht auszahlen: etwa einen Wassersprudler samt Glaskaraffen, ein Solar-Pumpensystem, eine Soundbar, zwei Kühlkissen, eine Kühlbox, auch einen Akku-Schraubendreher sowie beheizbare Steppweste und Steppjacke. Und sogar einen „Glühweinkocher, 20 Liter“.

Nicht zuletzt dürfte es im Verfahren darum gehen, ob der Angeklagte voll schuldfähig ist

Was die Staatsanwaltschaft mit so einem Gerät anfangen könnte, rein dienstlich? Schwer zu sagen. Jedenfalls soll der Geschäftsleiter eine Rechtspflegeamtfrau dazu veranlasst haben, eine entsprechende Auszahlungsanordnung zu unterzeichnen. Und diese soll das der Anklage zufolge auch exakt so getan haben. Also wurde der Gesamtbetrag von 60,95 Euro als Ausgabe der Staatsanwaltschaft Bamberg verbucht. Und über die Landesjustizkasse dem damaligen Geschäftsleiter gutgeschrieben.

Wohl als ein Oberstaatsanwalt aus dem Amt ausschied, soll der Angeklagte aus dessen ehemaligen Amtszimmer bei der Staatsanwaltschaft Bamberg auch eine antike Pendel-Wanduhr mit nach Hause genommen und in einem Kellerbüro aufgehängt haben. Viele andere der angeeigneten Gegenstände freilich, so schildert es die Anklageschrift, wurden im „häuslichen Umfeld“ des 59-Jährigen „originalverpackt aufgefunden und sichergestellt“.

Darauf, dass viele der mutmaßlich veruntreuten oder unterschlagenen Gegenstände „originalverpackt“ in der Wohnung des Angeklagten sichergestellt worden sind, stellt der Verteidiger Thomas Drehsen im weiteren Prozessverlauf besonders ab. Sein Mandant fasst sich an diesem ersten Verhandlungstag erst mal kurz. „Ich räume das, was mir vorgeworfen wird, ein“, liest er tonlos von einem Blatt ab. Er habe als Justizangestellter stets „großes Engagement und großes Pflichtbewusstsein“ an den Tag gelegt. Bis sich Folgen einer „psychischen Erkrankung“ eingestellt hätten, die er nicht habe „stoppen“ können. „Ich wollte nie das Ansehen der Justiz beschädigen“, sagt er. Er bereue sein Verhalten zutiefst und bitte um Verzeihung.

Man habe sich für ein pauschales Geständnis entschieden, erklärt sein Verteidiger. Wie viel exakt etwa das besagte „Fotopapier“ wert gewesen sei. Was exakt sein Mandant mit einem – angeblich abgelaufenen – Werbegutschein eines Weinguts hätte anfangen sollen. Warum überhaupt Unternehmen Gratis-Präsente an eine Justizbehörde verteilt haben – das alles plane die Verteidigung nicht im Detail für diesen Prozess eruieren zu lassen.

Warum die „Originalverpackung“ so wichtig ist? Die Verteidigung zielt wohl darauf ab, dass der 59-Jährige viele der Konsumgüter möglicherweise vor allem deshalb in seiner Wohnung angehäuft hat – um sie schlicht anzuhäufen. Nicht also zu nutzen. Oder auch gewinnbringend zu verkaufen. Hinweise auf Letzteres habe man tatsächlich keine gefunden, bestätigt ein Ermittler. Es dürfte also im Verfahrensverlauf nicht zuletzt darum gehen, ob der Angeklagte voll schuldfähig ist, das ihm Vorgeworfene womöglich auch krankhafte Züge trug. Ein Urteil wird im Oktober erwartet.

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