KOMMENTAR VON HUGO MüLLER-VOGG - BEI SEINEM ARBEITER-JUBEL VERSCHWEIGT UNS SCHOLZ ENTSCHEIDENDE FAKTEN

Kanzler Scholz hat zum 1. Mai die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ausführlich gelobt. Doch bei seinem Jubel nahm es der Kanzler mit den Fakten nicht so genau.

Zum „Tag der Arbeit“ gehört, dass Politiker nur Gutes über die tüchtigen, fleißigen, engagierten Arbeitnehmer sagen. Das gilt besonders für sozialdemokratische Kanzler mit engen Verbindungen zu den Gewerkschaften.

Scholz überschlägt sich mit Lob zum 1. Mai

Genau das tat Olaf Scholz in seiner Video-Botschaft zum 1. Mai. Schon in den ersten zwei Sätzen überschlug er sich geradezu mit seinem Lob.

Scholz: „Noch nie haben Deutschlands Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer so viele Stunden gearbeitet wie im vorigen Jahr. Deshalb ärgert es mich, wenn manche abschätzig vom ‚Freizeitpark Deutschland‘ reden“.

Der Jubel stimmt nicht mit den Fakten überein

Klingt gut, stimmt halt nur nicht mit den Fakten überein. Denn es gibt einen klaren Trend zu kürzeren Arbeitszeiten. Die Gewerkschaften sind sogar stolz darauf, dass sie in den Tarifverträgen nicht nur mehr Geld herausholen, sondern auch mehr Freizeit.

Bezeichnenderweise stellte der Deutsche Gewerkschaftsbund den diesjährigen 1. Mai unter das Motto: „Mehr Lohn. Mehr Freizeit. Mehr Sicherheit.“

Auch erlauben immer mehr Tarifverträge wie in der Metall- und Elektroindustrie oder bei der Bahn den Arbeitnehmern, die Arbeitszeit individuell bei gleichzeitigem Lohnverzicht zu reduzieren.

Die Fakten zum Arbeitsvolumen

Zu den Zahlen: Das Arbeitsvolumen aller Arbeitnehmer – also die Summe der tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden – hat 2023 mit 54.707 Millionen Stunden einen neuen Höchststand erreicht. Aber nicht etwa, weil die Deutschen länger gearbeitet hätten. Es haben nur mehr Menschen gearbeitet.

Laut der Bundesagentur für Arbeit ist zusammen mit dem Arbeitsvolumen auch die Zahl der beschäftigten Arbeitnehmer deutlich gestiegen. Das waren im Jahr 2023 – Vollzeit- und Teilzeitkräfte – 42,1 Millionen, mehr als jemals zuvor.

Was der Kanzler offenbar nicht zur Kenntnis genommen hat, ist das Verhältnis von Arbeitsvolumen zu Arbeitskräften. Zwischen 2016 und 2023 ist die Zahl der Arbeitnehmer um 7 Prozent gestiegen, die Zahl der geleisteten Arbeitsstunden aber nur um 4 Prozent.

Wenn die Zahl der Arbeitnehmer stärker steigt als die von ihnen geleisteten Arbeitsstunden, hat das einen simplen Grund: Im Schnitt arbeitet der einzelne Arbeitnehmer weniger.

Also von wegen „noch nie so viele Stunden gearbeitet wie im vorigen Jahr“! Das Gegenteil ist der Fall. Die Neigung, von Vollzeit in Teilzeit zu wechseln, dämpft den Anstieg des Arbeitsvolumens.

Arbeitnehmer wollen bessere Work-Life-Balance

Ob man deshalb Deutschland als Freizeitpark bezeichnet oder nicht: Der Drang zur „Selbstverwirklichung“ mit Hilfe einer angeblich besseren Work-Life-Balance ist eine Tatsache.

Apropos Freizeit: Scholz wischt die Klagen vieler Arbeitgeber und Ökonomen über die Neigung der Deutschen zu mehr Freizeit einfach vom Tisch.

Dabei hat sein Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) erst kürzlich gefordert, der Staat solle Anreize setzen, „damit mehr Menschen freiwillig mehr und länger arbeiten“. Fehlt dem grünen Vizekanzler etwa der von Scholz so gern beschworene Respekt vor den Arbeitnehmern?

Den vielen fleißigen Männern und Frauen in Werkshallen, Büros und Serviceeinrichtungen Respekt zu zollen, ist am Tag der Arbeit zweifellos angebracht. Aber zur Wahrheit gehört auch, dass immer mehr – keineswegs alle – Deutsche mehr Freizeit höher schätzen als mehr Lohn.

Die Wirtschaft leidet unter dem dadurch verstärkten Fachkräftemangel. Da sind Jubelbotschaften über angeblich so fleißige Deutsche fehl am Platz.

Wie wär’s mit mehr Respekt vor Fakten, Herr Bundeskanzler?

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