KLIMA-KRISE IN AFRIKA: »DER GLOBALE NORDEN SCHULDET UNS DIESES GELD«

In Kenia und Tansania treten Seen über die Ufer, Dörfer sind überschwemmt. Touristen werden per Helikopter gerettet, in den Slums kommt nur wenig Hilfe an. Das sei die neue Realität in Afrika, sagt Klimaexperte Mohamed Adow.

In Ostafrika regnet es seit Tagen schwer, kleine Rinnsale werden zu reißenden Flüssen, spülen alles in ihrem Weg mit sich. Mehr als 200 Menschen sind in Kenia bereits an den Folgen der Überschwemmungen gestorben; die Situation bleibt angespannt; weitere Regenfälle werden erwartet. Klimaexperten gehen davon aus, dass das natürliche Wetterphänomen El Niño durch den Klimawandel verstärkt wird und diese tödliche Kombination für das derzeitige Extremwetter verantwortlich ist. Klimaexperte Mohamed Adow hält solche Ereignisse für die neue Realität in Afrika.

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SPIEGEL: In Kenia wurden Touristen mit Hubschraubern aus dem berühmten Schutzgebiet Masai Mara evakuiert, während die Slumbewohner in Nairobi in den Fluten meist auf sich allein gestellt sind. Heißt das: Gerettet wird, wer Geld hat?

Mohamed Adow: Ja, oft ist das so. Das ganze Land hat mit den verheerenden Überschwemmungen zu kämpfen, doch es trifft die Leute auf sehr unterschiedliche Weise. Diejenigen mit den breitesten Schultern, die es sich leisten können, in der Masai Mara Urlaub zu machen, können eine Evakuierung per Flugzeug bezahlen. Die Menschen in den Slums tragen die Hauptlast der Naturkatastrophe. Sie sind am verwundbarsten, denn sie haben keine Ressourcen, um sich zu schützen. Wenn wir nicht bald deutlich mehr Klimafinanzierung vom Globalen Norden bekommen, wird diese Ungleichheit immer schlimmer werden. Das ist die grausame Ironie des Klimawandels: Diejenigen, die am wenigsten für die Emissionen verantwortlich sind, müssen am meisten darunter leiden. Die Katastrophe, die sich gerade abspielt, ist genau das, wovor Klimaforscher gewarnt haben. Aber das ist erst der Anfang.

SPIEGEL: Das klingt sehr düster.

Adow: Wir leben bereits mitten in der Klimakrise. Die Welt hat sich schon jetzt so stark erwärmt, dass es kein Zurück mehr gibt. Kenia hat kürzlich die schlimmste Dürre seit 40 Jahren erlebt, und nun ist das Land überflutet. Es ist ein Weckruf. Wir merken jetzt, wie verwundbar wir sind, obwohl Kenia eines der wirtschaftlich am weitesten entwickelten Länder Afrikas ist. Was uns bevorsteht, ist mit unseren eigenen Mitteln schlicht nicht zu bewältigen. Schon die jüngsten Überschwemmungen überschreiten unsere Kapazitäten. Je mehr Treibhausgase die Industrieländer künftig in die Atmosphäre pusten, desto schlimmer wird es.

SPIEGEL: Wie kann sich ein Land wie Kenia überhaupt an solche Wetterextreme anpassen?

Adow: Wir müssen eine widerstandsfähige Infrastruktur aufbauen, die den Auswirkungen extremer Wetterereignisse standhält. Eine effiziente Entwässerung ist eine der Prioritäten. Außerdem müssen wir ein Frühwarnsystem aufbauen und die Katastrophenvorsorge ausbauen. Wir müssen ausreichend Geld in unsere meteorologischen Dienste stecken. Und um durch die Dürren zu kommen, brauchen wir widerstandsfähigere landwirtschaftliche Praktiken, wie etwa dürreresistente Pflanzen. Besonders die gefährdeten Bevölkerungsgruppen müssen wir stärker unterstützen, damit sie ihre Existenzen wiederaufbauen können.

SPIEGEL: Der Globale Norden hat sich schon 2009 zu einer langfristigen Klimafinanzierung verpflichtet, wollte pro Jahr 100 Milliarden US-Dollar für Entwicklungsländer bereitstellen. Diese Summe wurde allerdings nie erreicht. Inzwischen gibt es auch Notfallfonds für Naturkatastrophen wie die aktuelle Dürre in Ostafrika. Ein richtiger Schritt?

Adow: Das ist völlig unzureichend. Für den jüngsten »Loss and Damage«-Fonds für Schäden durch klimabedingte Naturkatastrophen wurden bei der Weltklimakonferenz in Dubai gerade einmal 700 Millionen US-Dollar eingetrieben. Das ist noch nicht einmal genug Geld, um die Folgen der jetzigen Überschwemmungen in Ostafrika auszugleichen. Wie soll damit also ganz Afrika zurechtkommen? Die finanzielle und technische Unterstützung seitens des Westens ist weiterhin viel zu gering. Der reiche Teil der Welt, der mit seinen fossilen Brennstoffen die Zerstörung verursacht hat, muss endlich die Verantwortung für sein Handeln übernehmen und deutlich mehr Geld bereitstellen.

SPIEGEL: Gleichzeitig wurden bereits in mehreren afrikanischen Ländern Gelder zur Klimaanpassung veruntreut; Korruption ist ein großes Problem. Ist es nicht zu einfach, mit dem Finger auf den Globalen Norden zu zeigen?

Adow: Die Emissionen des Westens sind für die Klimakrise und deren Folgen verantwortlich. Afrika muss nun die Klimaschäden ausbaden. Der Globale Norden schuldet uns dieses Geld also; nur so können wir die notwendigen Maßnahmen ergreifen. Die afrikanischen Länder können die Leben ihrer Einwohnerinnen und Einwohner nicht ohne Hilfe schützen. Natürlich müssen wir sicherstellen, dass die Mittel auch da ankommen, wo sie gebraucht werden. Aber erst mal muss es diese Mittel überhaupt geben.

SPIEGEL: Viele afrikanische Länder versuchen derzeit, über CO₂-Projekte an schnelles Geld zu kommen. Sie stellen Landstriche offiziell unter Schutz und verkaufen dann sogenannte CO₂-Zertifikate an Länder oder Firmen des Globalen Nordens, die damit ihre eigenen Emissionen ausgleichen können. Könnte das eine Lösung sein?

Adow: Wenn man so verzweifelt auf Geld angewiesen ist wie viele Länder in der Region, dann fällt man auf jeden Trick herein. Der CO₂-Markt ist nichts anderes als Betrug, er treibt den Klimawandel voran, anstatt die Emissionen zu senken. Die Industrieländer erkaufen sich damit das Recht, weiter zu verschmutzen. Das ist Neokolonialismus. Der afrikanische Kontinent hat so viel Potenzial, um die Klimakrise zu bewältigen. Wir verfügen über eine Fülle sauberer Energieressourcen. Wir verfügen über die besten landwirtschaftlichen Anbauflächen der Erde und einige der besten Wälder. Diese Ressourcen können wir der Welt anbieten. Aber dafür brauchen wir keine Scheinlösungen, die nur von der dringend benötigten Dekarbonisierung ablenken und Afrika keinen Nutzen bringen. Das ist doch, als würde man das Wasser aus einem sinkenden Boot schaufeln.

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