INSURTECH: EKLAT BEIM „TINDER FüR VERSICHERUNGSMAKLER“

Manager der Kompass Group sollen ihr eigenes Unternehmen von Datenbanken abgeschnitten haben. Sie vertreten eine andere Version. Nun überziehen sich beide Seiten mit beispiellosen Vorwürfen.

Als Nicos Pohland das Impressum einer Internetseite seiner Firma öffnet, ist er schockiert. „Oh mein Gott, jetzt haben sie auch noch unsere Website gekapert“, stößt er hervor. Er meint drei Männer, die bis vor Kurzem noch seine Kollegen waren. Und denen er eine Meuterei vorwirft, die – wenn der Vorwurf korrekt ist – nahezu einmalig sein dürfte.

Es geht um heftige Anschuldigungen. Ein Unternehmen wirft ehemaligen Vorständen vor, die eigene Firma gekapert zu haben. Und noch bevor der Fall vor Gericht entschieden werden kann, überziehen sich beide Seiten mit Vorwürfen und versuchen, über Fachmedien die Deutungshoheit zu erlangen.

Es geht um die Kompass Group AG, bei der Pohland seit April als Chief Restructuring Officer arbeitet. Die Kompass Group ist eine von zahlreichen digitalen Versicherungs-Start-ups, die versuchen, den etwas biederen Markt für Versicherungen aufzubrechen. Zu den bekanntesten sogenannten Insurtechs gehört Wefox, das zwischenzeitlich mit mehr als 4,5 Milliarden US-Dollar bewertet wurde.

Das Geschäftsmodell der Kompass Group: Sie kauft unter anderem Versichertenbestände auf und veräußert sie an Versicherungsmakler. Außerdem betrieb das Unternehmen die Internetseite matching.de, auf der Versicherungsmakler wiederum ihre Kundenbestände mit anderen Maklerbüros handeln können, zum Beispiel, wenn eine Maklerin oder ein Makler in Ruhestand gehen möchte.

„Das ist sozusagen das Tinder für Versicherungsmakler“, erklärt Pohland. In Zeiten, in denen altersbedingt für viele in der Branche die Rentenzeit naht, ist das ein lukratives Geschäft.

Vorstände gründeten vor Rauswurf eigene Firma

Doch wie im echten Dating-Alltag gelingt nicht immer ein „Match“. In diesem Fall sind es auf der einen Seite ein Aufsichtsrat der Gesellschaft und zwei seiner früheren Vorstände auf der anderen. Und Pohland hat nun vor allem einen Auftrag: die Kontrolle über die Firma wiederherzustellen.

Was war passiert? Am 11. April veröffentlichen die zwei Kompass-Vorstände Matthias Schmidt und Marcus Renziehausen sowie Ex-Vorstand René Fuchs eine Pressemitteilung. Darin heißt es, dass sämtliche Geschäfte der Kompass Group AG auf die neu gegründete Kompass Group Deutschland AG übertragen worden seien.

Die bisherige Kompass Group AG verbleibe als Mantelgesellschaft. Ein Blick ins Handelsregister bestätigt die Gründung der fast namensgleichen Gesellschaft.

Fast zeitgleich veröffentlicht aber auch Hans-Gerd Coenen, Aufsichtsratschef der bisherigen Kompass Group AG, eine Pressemitteilung. Darin teilt er mit, dass zwei seiner Vorstände mit sofortiger Wirkung freigestellt worden seien: Schmidt und Renziehausen. Angeblich „wegen grober Pflichtverletzungen und Illoyalität“, heißt es, ohne dass Details genannt werden. Die beiden Vorstände bestreiten diese Vorwürfe.

Bilder der geschassten Vorstände tauchen wieder auf der Homepage auf

Auf der Firmenseite der bisherigen Kompass Group AG sind nun wieder die Fotos der eigentlich geschassten Vorstände abgebildet. Das legt nahe, dass die neu gegründete Firma Zugänge zu den Servern der alten Firma erlangt hat – nur so kann man Änderungen am Layout der Seite vornehmen.

Die drei Manager bezeichnen sich auf der Seite der bisherigen Kompass Group AG als „designierte Vorstände“. Und im Impressum der Seite matching.de wird nicht mehr die Kompass Group AG als Rechteinhaberin der Seite geführt, sondern die „matching.de Gmbh i Gr.“, wobei das Kürzel für „in Gründung“ steht.

Wir mussten uns von einem Reputationsrisiko lösen.

Ist dieser Wechsel auf die neue Gesellschaft rechtmäßig verlaufen oder nicht? Coenen, der Aufsichtsratschef der alten Firma, sieht in dem Vorgang „eine Dreistigkeit sondergleichen“. Die „jungen und unerfahrenen Vorstände“ hätten sich gegen die eigenen Gesellschafter und Finanzgeber gestellt und eine Gesellschaft fast gleichen Namens gegründet. Anschließend hätten sie alle wesentlichen Daten und Vertragsbeziehungen gekapert und in ihre neue Firma übernommen.

Die Bafin verbietet einer Minderheitsaktionärin das Kreditgeschäft

Die Verantwortlichen der neu gegründeten Gesellschaft Kompass Group Deutschland AG bestreiten die Vorwürfe. Demnach habe es in den vergangenen Monaten Ungereimtheiten bei einer Minderheitsaktionärin der Kompass Group AG gegeben, und zwar bei der Firma Deutsche Treuwert AG. Das erklärt ein Sprecher der Kompass Group Deutschland AG.

Eine weitere Tochterfirma dieser Gesellschaft, die DR Deutsche Rücklagen GmbH, sollte Medienberichten zufolge Ersparnisse von Wohnungseigentümern in Anleihen investieren. Doch ein Teil des Geldes, das vor allem in Anleihen investiert war, ist den Medienberichten zufolge verschwunden. Diese unrechtmäßigen Geschäfte mit Mietkautionen hat die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin) der Gesellschaft bereits Mitte März untersagt.

Als die Vorgänge Anfang des Jahres bekannt geworden waren, soll ein Teil des Führungsteams der Kompass Group AG beschlossen haben, sich von dieser Minderheitsaktionärin zu trennen. Der Aufsichtsrat habe diesen Plan nicht unterstützt, heißt es.

Dies habe Unternehmensinsidern zufolge zu „Plan B“ geführt: „Wir mussten uns von diesem Reputationsrisiko lösen, um weiter mit Investoren sprechen zu können“, heißt es nun aus der neu gegründeten Gesellschaft.

Die Bafin bestätigt auf Anfrage die Abwicklung des Kreditgeschäfts der DR Deutsche Rücklagen GmbH. Zu sonstigen möglichen Verflechtungen mit anderen Gesellschaften sowie zu möglichen zivilrechtlichen Aspekten äußert sich die Behörde nicht.

Nicos Pohland, der Vorstand der angeblich hintergangenen Kompass Group, betont wiederum, dass die Deutsche Treuwert als Minderheitseignerin seiner Gesellschaft längst ihre Anteile an der DR Deutsche Rücklagen abgestoßen habe. Dass es Ungereimtheiten bei dieser Firma gegeben habe, könne also kein Grund für die Vorgänge sein, ist er überzeugt.

Viele Fragen sind noch offen. Etwa, ob es tatsächlich einen Dissens zwischen Vorstand und Aufsichtsrat gegeben hat – und ob es dabei um die Minderheitsaktionärin Deutsche Treuwert ging. Auch die Frage, ob wirklich das gesamte Geschäft der bisherigen Kompass Group AG auf die neue Kompass Group Deutschland AG übertragen worden ist.

Das Landgericht Mannheim hat inzwischen einen Antrag auf einstweilige Verfügung abgelehnt. Stattdessen soll es eine mündliche Verhandlung geben, allerdings erst Ende Mai. Bis dahin ist die zuständige Richterin nach Aussage beider Unternehmen noch im Urlaub.

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