DER MüLL DES DEUTSCHEN ATOMZEITALTERS – UND DIE GROßE ANGST, DASS ER BLEIBT

Die Suche nach einem Endlager für hochradioaktive Abfälle verzögert sich. Diese werden noch jahrzehntelang in 16 Zwischenlagern bundesweit oberirdisch deponiert. Betroffene Gemeinden wie das bayerische Niederaichbach begehren jetzt auf.

Wenn er die große weiße Wolke über dem Dorf Niederaichbach sah, wusste Josef Klaus, dass er bald zu Hause sein würde. Auf der Autobahn konnte man schon von Weitem den Kühldampf erkennen, der vom Kernkraftwerk Isar 2 in den Himmel stieg. Sogar beim Landeanflug auf den Flughafen München war er an klaren Tagen zu sehen. Es hatte etwas Vertrautes für den CSU-Politiker und heutigen Bürgermeister. Ein Stück Daheim.

Seit einem Jahr nun dampft Isar 2 nahe dem niederbayerischen Landshut nicht mehr. Der Meiler wurde als eines der letzten drei deutschen Atomkraftwerke abgestellt. Die Mitarbeiter der Gemeinde, auf dessen Gemarkung das Kraftwerksgelände zum Teil liegt, trafen sich am 15. April 2023 im Rathaus, um gemeinsam den Schlussakt der Kernenergieerzeugung im Ort zu begehen, wie Klaus erzählt. Um 23:52 Uhr kam damals aus der Warte des Kraftwerks die Nachricht: „Roter Knopf gedrückt“. Der Meiler war vom Netz. „Es war ein komisches Gefühl“, erinnert er sich. „Mehr als drei Jahrzehnte lang haben wir mit der Kernkraft gelebt. Die Energieversorgung war sicher, die Kommune hat davon auch finanziell profitiert. Und mit einem Mal war alles Geschichte.“

Inzwischen seien die Leute der Gegend froh über die Abschaltung, berichtet Klaus. Auch ohne Kernkraft gibt es genug Energie. Nun ringen die Niederaichbacher allerdings mit der Hinterlassenschaft des Atomzeitalters, mit Tonnen radioaktiven Abfalls, der nahe dem Kraftwerk gelagert wird – und das womöglich über mehrere Generationen. Dafür wollen Klaus und die anderen Bürgermeister der betroffenen Kommunen jetzt eine Entschädigung.

Es geht um das örtliche Zwischenlager mit dem schönen Namen „Bella“, das 2007 neben dem Kraftwerk errichtet wurde. Hier werden aktuell rund 90 Castoren und andere Brennelementebehälter für hochradioaktive Abfälle aufbewahrt. Und es werden Kapazitäten für weitere Behälter vorgehalten, unter anderem auch für Atommüll aus dem Ausland. „Bella“ mit dem unschönen Lagergut darf laut behördlicher Genehmigung bis 2047 betrieben werden. Aber es ist sehr fraglich, ob bis dahin ein atomares Endlager in Deutschland gefunden wird und betriebsbereit ist. Einstweilen muss der Atommüll in kleinen Lagerstätten aufbewahrt werden – samt allen Risiken einer oberirdischen Lagerung.

Mehr als 10.000 verstrahltes Schwermetall

Bundesweit gibt es 16 Zwischenlager für hochradioaktive Abfälle, 13 an den Standorten der ehemaligen Kernkraftwerke sowie drei zentrale Lager in Gorleben, Ahaus und Lubmin. Nach Angaben der Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) müssen als Ergebnis der zivilen Nutzung der Kernkraft in Deutschland 10.125 Tonnen verstrahltes Schwermetall sowie 3864 metallische Gussformen (Kokillen) hochradioaktiver Abfälle aus der Wiederaufarbeitung deponiert werden, gesucht wird dafür ein zentraler Standort.

Die Bundesgesellschaft hat allerdings inzwischen eingestanden, dass das gesetzlich festgelegte Zieldatum für die Bestimmung des idealen Standorts im Jahr 2031 nicht gehalten werden kann. Frühestens 2046 sei mit einer Festlegung zu rechnen, heißt es in internen Unterlagen. Und wenn die ausgewählte Endlager-Kommune sich dann wehren sollte, würde es wohl noch sehr viel länger dauern, bis dort tatsächlich der Atommüll zentral eingelagert werden kann.

„Die Meiler werden zurückgebaut, aber die Zwischenlager existieren weiter, und niemand weiß, wie lange“, klagt Bürgermeister Klaus. Er ist Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft der Standortgemeinden kerntechnischer Anlagen in Deutschland (Asketa), in der die betroffenen Kommunen ihre Interessen vertreten. In ihrem Namen erklärt der Niederbayer: „Wir können mit diesen Flächen nichts anfangen, sie nicht bebauen oder anderweitig nutzen. Das sind de facto Gewerbeflächen, die nichts einbringen, sondern Kosten verursachen. Dafür brauchen die Kommunen, in denen die Zwischenlager liegen, eine Kompensation.“

Die Vertreter der Gemeinden wollen das nächste Mal im Juni zusammenkommen und dann die Bundesregierung offiziell auffordern, sich an den Belastungen der Kommunen zu beteiligen. „Die Gemeinden Gorleben und Ahaus haben als Standorte von Zwischenlagern Entschädigungen bekommen. Warum werden die anderen Kommunen anders behandelt?“, fragt Klaus. Und als Vorsitzender der Interessengemeinschaft konkretisiert er die Forderung: „Eine entsprechende Summe von 800.000 bis 1,3 Millionen Euro pro Jahr und Kommune ist angemessen.“

2024-04-20T05:30:16Z dg43tfdfdgfd