ALS CHEF VON MEYER BURGER KäMPFTE GUNTER ERFURT GEGEN WINDMüHLEN AN. JETZT MUSS ER DAS FELD RäUMEN

«Wer kämpft, kann verlieren. Wer nicht kämpft, hat schon verloren.» Gunter Erfurt hat gekämpft, und jetzt hat er verloren. Der Chef des schwer angeschlagenen Solarmodulherstellers Meyer Burger berief sich am Mittwoch auf das Sprichwort – und kommentierte so in den sozialen Netzwerken seinen sofortigen Rückzug aus dem Unternehmen. Es sei eine Niederlage trotz grossen Anstrengungen, was ihn sehr schmerze, erklärte Erfurt.

Ähnlich fühlen dürften sich jene Mitarbeiter von Meyer Burger, die bei der anstehenden Reduktion der Belegschaft von 1050 auf rund 850 Stellen ihren Arbeitsplatz verlieren werden. Diese ersten Details einer Restrukturierung publizierte Meyer Burger jetzt zusammen mit der Nachricht vom Rücktritt des CEO. Der Grund für die Einschnitte: Erfurt war mit dem Plan gescheitert, Meyer Burgers Produktion von Solarzellen und Solarmodulen aus Ostdeutschland vollständig in die Vereinigten Staaten zu verlagern.

Ein Fünftel der Belegschaft wird nicht mehr gebraucht

Diese Verlagerung hätte das Überleben des Photovoltaikherstellers mit Sitz in Thun sichern sollen. Fehlgeschlagen ist der Plan aufgrund zu hoher Kosten und fehlender Finanzmittel für den Umzug. Nun will sich Meyer Burger gesundschrumpfen. Rund ein Fünftel der Arbeitsplätze wird nicht mehr gebraucht – wobei mehr Angestellte gehen müssen, als die angestrebte Belegschaft von global 850 Mitarbeitern per Ende 2025 suggeriert: Meyer Burger wird in den USA noch Mitarbeiter einstellen, dafür aber in Europa überproportional abbauen.

Gunter Erfurt wird diese Rosskur nicht mehr begleiten. Es ist ein Richtungswechsel zu viel: Der Deutsche hat in mehr als zwanzig Jahren in der europäischen Solarbranche schon manche Kehrtwende mitgemacht. Seit fast neun Jahren ist Erfurt bei Meyer Burger – zunächst als Betriebsleiter und Technologiechef, seit 2020 als CEO. Zuvor hatte er unter anderem beim deutschen Modulhersteller Solarworld gearbeitet, der 2018 insolvent wurde. Erfurt ist das prominenteste Gesicht, das von der deutschen Solarindustrie noch übrig ist.

Gunter Erfurt war massgeblich am Strategiewechsel von Meyer Burger beteiligt, mit dem sich das Unternehmen im Jahr 2020 von einem Hersteller der Maschinen, mit denen Solarmodule produziert werden, zu einem Hersteller der Zellen und Module selbst wandelte. Schon damals musste sich Meyer Burger gegen die Konkurrenz aus China behaupten: Nachdem die europäischen Maschinenbauer den Chinesen jahrelang die Technologie zur Produktion von Solarmodulen verkauft hatten, waren diese immer weniger darauf angewiesen.

Inzwischen sind nicht nur die Maschinen, sondern auch die westlichen Solarmodule gegen günstigere chinesische Angebote nicht mehr konkurrenzfähig. Seit der chinesische Heimatmarkt aufgrund der dortigen Wirtschaftsschwäche eingebrochen ist, drängt die Überproduktion auf den Weltmarkt. Sie ist riesig. Laut Analysten von Bernstein sind in China 85 Prozent der globalen Produktionskapazitäten für Solarzellen beheimatet, ausserdem 80 Prozent für Module und 95 Prozent für Wafer – dünne Siliziumscheiben, aus denen die Zellen gemacht werden.

Gefangen im Spagat über den Atlantik

Wie ein Don Quijote rannte Erfurt aus immer neuen Richtungen gegen die chinesischen Windmühlen an. Er wollte die ökonomische Ausweglosigkeit nicht wahrhaben – und hoffte zwar nicht auf göttlichen Beistand, aber auf politischen.

Erfurt warb in Deutschland um Subventionen, die eine Produktion von Zellen und Modulen an den ostdeutschen Standorten Freiberg (Sachsen) und Bitterfeld-Wolfen (Sachsen-Anhalt) rentabel machen sollten. Als die Ampelregierung die Unterstützung auch aufgrund der Haushaltkrise verweigerte, gleiste er den Umzug in die USA auf.

Dort gewährt Präsident Joe Biden umfangreiche Beihilfen für die Produzenten grüner Technologien. Im Gliedstaat Arizona hat Meyer Burger bereits ein Werk eingerichtet und fährt die Produktion von Solarmodulen hoch. Die dafür benötigten Zellen sollten aus einer neuen Fabrik in Colorado stammen – doch deren Errichtung ist vor wenigen Wochen trotz einer Kapitalerhöhung aus Geldmangel abgeblasen worden.

Nun behält Meyer Burger die Zellproduktion in Sachsen-Anhalt, um die Modulfertigung in Arizona zu versorgen. Die Modulfertigung in Sachsen wurde hingegen im Frühjahr geschlossen; 500 Mitarbeiter mussten bereits gehen. Nun ist auch eine Ausweitung der Produktionsmenge vorerst abgesagt. Mit den vorhandenen Möglichkeiten und bestehenden Abnahmeverträgen strebt Meyer Burger ab dem Jahr 2026 einen Umsatz von 350 bis 400 Millionen Franken an. Das wäre mehr als doppelt so viel wie im vergangenen Jahr.

Die Ziele werden gestutzt

Dennoch enthält der Ausblick eine deutliche Korrektur: Ziel ist ab 2026 ein Betriebsgewinn (Ebitda) im mittleren zweistelligen Millionenbereich. Noch Anfang Jahr hielt es die Firma für möglich, nach gelungener Expansion mit dem US-Geschäft einen Betriebsgewinn von knapp 250 Millionen Franken zu erreichen.

Mit Erfurt verlässt auch der Finanzchef das Unternehmen. Das Ruder als CEO übernimmt in Personalunion der Verwaltungsratspräsident Franz Richter. Nach drei Austritten im laufenden Jahr besteht das Aufsichtsgremium nur noch aus zwei Mitgliedern. Die Aktien haben seit Jahresbeginn 96 Prozent an Wert verloren. Zur Sanierung soll der Verkauf von Anlagen und Vermögenswerten beitragen. 71 Jahre nach der Gründung als Maschinenhersteller für die Uhrenindustrie versucht Meyer Burger zu retten, was zu retten ist.

2024-09-18T13:57:58Z dg43tfdfdgfd